Unterm Strich
andererseits.
Die Wirkung auf andere Euroländer in einem ebenfalls fragilen Zustand ist zwiespältig zu sehen. Auf der einen Seite könnten sie sich ermuntert fühlen, notwendige Konsolidierungsanstrengungen mit schlechten Nachrichten für ihre Bevölkerung in der freudigen Gewissheit zurückzufahren oder sogar einzustellen, dass ihnen von den anderen Euroländern unter die Arme gegriffen werde. Auf der anderen Seite könnten sie in dem Interesse und Stolz, ihre Verhältnisse selbst zu ordnen, darauf vertrauen, dass ihnen im Ernstfall europäische Unterstützung unter klar definierten Auflagen beispringt. Das verkleinert die Angriffsfläche auf die Eurozone, nimmt Spekulanten auf den Finanzmärkten viel Luft weg und stärkt das Selbstbewusstsein Europas auch als Solidargemeinschaft.
Die griechische Regierung hat in einer solchen Situation weitgehende Konsolidierungsmaßnahmen beschlossen. Mehr konnte man von ihr nicht erwarten, wenn sie partout nicht über eine Klippe geschoben werden soll, wo eine Eskalation von Demonstrationen und Streiks und eine Erdrosselung der Wirtschaftsleistung mit der Folge drohen, dass es keine handlungsfähige Regierung mehr gibt und sich die wirtschaftlichen Probleme noch weiter verschärfen. Als mich der heutige Ministerpräsident Giorgos Papandreou noch als Oppositionspolitiker Ende Januar 2009 in Berlin besuchte, hatte er keinerlei Illusionen hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Lage Griechenlands und war sich der immensen Herausforderung im Falle seiner Wahl sehr bewusst. Nachdem ich seine Frage nach den deutschen Konsolidierungsanstrengungen zwischen 2006 und 2008 und nach Empfehlungen zur griechischen Situation beantwortet hatte, verabschiedete er sich mit der ironischen Bemerkung, dass er nun nicht mehr so sicher sei, die Wahl wirklich gewinnen zu wollen. Er wusste um die heißen Kastanien, die ihm die damals noch amtierende konservative Regierung von Kostas Karamanlis hinterlassen würde - und die er nun als Regierungschef aus dem Feuer holen muss.
Insofern war die Entscheidung des EU-Gipfels vom 24-/25. März 2010, einen Nothilfeplan für Griechenland parat zu halten, richtig und gut. Jedes weitere Zaudern hätte Spekulationen Raum gegeben, die mitnichten nur einzelne Euroländer getroffen hätten, sondern die gesamte Eurozone. Die Wegstrecke zu diesem Beschluss hätte allerdings von weniger strengen und verunsichernden Tönen aus deutschen Regierungskreisen begleitet sein müssen. Wie in einer währungspolitisch so hochriskanten Situation Eigensinn und Dickköpfigkeit bis hin zu Bestrafungsreflexen auch medial bedient wurden, bleibt ein Rätsel. Als ob es Deutschland in Europa nicht immer nur so gut wie seinen Nachbarn gehen kann.
Aus dem bisher gezeichneten Bild Europas ergeben sich für mich fünf vordringliche Schlussfolgerungen:
Erstens: Solange nicht eine stringentere und verbindlichere Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik realisiert werden kann, verbietet sich eigentlich jede Erweiterung des Euroraums, da sie zusätzliche Risiken für die Stabilität des Euro aufwerfen würde. Da der Euroraum mit inzwischen 16 von insgesamt 27 Mitgliedsstaaten der EU das größte Potenzial darstellt, von dessen Wohlergehen wie auch Anfälligkeit die EU im Ganzen beeinflusst wird, sollte sich auch die EU nicht zusätzliche Belastungen oder Verpflichtungen aufhalsen. Von der Gefahr ihrer Überdehnung war schon die Rede. Sollte dies als verschlüsselter Gedanke eines Beitrittsmoratoriums auch für die EU verstanden werden, würde ich nicht mit einem Dementi reagieren. Es muss zwischen einer Politik der verschlossenen Tür und einer Politik des offenen Scheunentors, mit einem Durchzug, der das ganze Gebälk ins Wanken bringen kann, einen mittleren Pfad in Form von engen Anbindungen ohne förmliche Mitgliedschaft geben.
Zweitens: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt muss novelliert werden. Seine Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten sind zu verschärfen. Während Zins- und Wechselkurs als nationale Justierschrauben mit der Währungsunion bereits entfielen, wurde an der Lohnschraube national umso heftiger gedreht. Bei einem Vergleich der Lohnentwicklungen im Euroraum seit 1999 fällt auf, dass die Länder, die heute in den größten Schwierigkeiten stecken, zugleich jene sind, die in den letzten zehn Jahren sowohl im öffentlichen Sektor als auch in der privaten Wirtschaft weit überzogene Lohnzuwächse zugelassen beziehungsweise betrieben haben. Sie lagen
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