Unterm Strich
den Opel-Arbeitern und ihren Familien, sondern als Steuerzahler. Darin lag der Irrtum der SPD. Nach meiner Überzeugung kostete es uns Sozialdemokraten in der Bundestagswahl vier Monate später mehr, als wir uns je eingestanden haben. Die alte Deutschland AG hatte sich nicht nur auf der Ebene der Gesellschafter und Vorstände von Unternehmen, sondern auch auf jener der Arbeitnehmerschaft zerstreut. Das hatten die Empfangsgeräte der SPD aber noch nicht registriert.
Mein Problem mit Wirtschaftsminister zu Guttenberg war mitnichten seine Risikoanalyse des Szenarios I mit Magna als neuem Partner und als Zukunftsoption. Die teilte ich sogar weitgehend, weshalb meine Mitarbeiter aus dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) in den Vorbereitungssitzungen der SPD-Seite auch immer etwas scheel betrachtet wurden, weil sie zu wenig als sozialdemokratische Überzeugungstäter rüberkamen. Mein Problem mit dem Kollegen zu Guttenberg lag darin, dass er keine vergleichbare Risikoeinschätzung für das Szenario II - eine Insolvenz von Opel - zu bieten hatte, sodass keine Abwägung möglich war. Auch öffentlich drang nicht durch, was eine Insolvenz von Opel denn bedeutet und vor allem auch den Steuerzahler gekostet hätte: Insolvenzgelder der Bundesagentur für Arbeit für rund 25000 Opel-Beschäftigte, späteres Arbeitslosengeld I nicht ausgeschlossen, Folgeinsolvenzen bei den rund 700 Opel-Händlern und -Zulieferern, entgangene Einnahmen von Steuern und Sozialabgaben, regionale Kaufkraftverluste und - sträflich unterschätzt - die Ansprüche des sogenannten Pensionssicherungsvereins der deutschen Wirtschaft für das betriebliche Altersversorgungssystem von Opel. Allein die letzte Position wurde auf bis zu 4 Milliarden Euro geschätzt. Dafür hätten die 70000 Mitglieder des Pensionssicherungsvereins - alles Unternehmen in Deutschland - nicht zu knapp mit höheren Beiträgen bluten müssen.
All dies hätte auf die Waagschale gehört. Dann wäre klarer geworden, dass eine konditionierte, limitierte und materiell jedenfalls teilweise abgesicherte Unterstützung des Staates in Gestalt einer Bürgschaftskonstruktion nicht nur aus Gründen der Sozialverträglichkeit, sondern auch wirtschaftlich günstiger - und damit im Interesse des Steuerzahlers - sein kann als eine Insolvenz. Dabei stelle ich nach eigenen Erfahrungen mit exzellenten Insolvenzverwaltern nicht in Frage, dass auch nach mancher »geordneten«
Pleite ein Phönix aus der Asche steigen kann. Industriepolitisch war nicht einzusehen, dass die US-Regierung den Mutterkonzern General Motors mit einer Unterstützung von 58 Milliarden Dollar am Markt hält, während die Tochter Adam Opel GmbH mit den besseren Produkten koppheister gehen sollte, weil sich hier - anders als in den USA - eine staatliche Hilfe verbietet. Das Produkt »Opel« - so erschien es mir in den damaligen Verhandlungen - erfüllte höchste Qualitätsanforderungen, im Gegensatz zur Konzernstruktur von General Motors mit ihrem ziemlich desolaten Finanzwesen. Inzwischen ist der Fall nach einer Absage der Bundesregierung an Bürgschaften für Opel und einem Widerruf aller diesbezüglichen Anträge des Mutterkonzerns General Motors zu den Akten gelegt. Dafür sind ziemlich viele Menschen über ein Jahr hochtourig in Anspruch genommen worden.
Einen Epilog zu diesem umstrittensten Fall deutscher Industriepolitik in jüngerer Zeit kann ich mir nicht verkneifen.
Wenige Wochen später drohte dem Kaufhaus- und Versandkonzern Arcandor mit Karstadt und Quelle ebenfalls eine Insolvenz. Die Managementfehler, die schließlich auch dahin führten und Tausende, vornehmlich Mitarbeiterinnen, ihren Job kosteten, sind eine eigene Geschichte, die es wert wäre, aufgearbeitet zu werden. Nachdem der Kollege zu Guttenberg gerade bei Opel für seine Rolle »einer gegen alle« Lorbeerkränze empfangen und in der CSU mit Beifall überschüttet worden war, ging es nun um die Rettung von Quelle in Fürth - also einen Standort in Bayern. Das ist etwas völlig anderes als beispielsweise Opel in Bochum. Die weiße ordnungspolitische Fahne wurde eingezogen und dafür die weißblaue staatsinterventionistische Fahne gehisst. Die liegt übrigens in Bayern seit den seligen Zeiten von Franz Josef Strauß immer griffbereit, weshalb sich die bayerische Staatsregierung rühmen darf, erfolgreichster Vollstrecker der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) zu sein. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst
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