Unterm Strich
Seehofer eilte denn auch flugs nach Fürth, wedelte vielversprechend mit dem kiloschweren Quelle-Katalog, versicherte den Beschäftigten, dass alles gut werde, kassierte Dankeshymnen und verkündete die Lösung für einen Massekredit unter Beteiligung des Bundes, die es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gab - und die letztlich auch nie zustande kam. Anschließend beschimpfte er den Bundesfinanzminister sinngemäß ob seines dilatorischen, wenn nicht dilettantischen Verhaltens. Wie der Kollege zu Guttenberg dies innerparteilich wahrgenommen und ausgehalten hat, ist - jedenfalls mir - nicht überliefert. Aber wunderlich war die bayerische Aufstellung schon.
Deutschland hat gegenüber anderen Ländern den Vorteil, noch auf einen breiteren industriellen Sektor bauen zu können. Fachleute halten allerdings den Anteil solcher Branchen und Unternehmen in Deutschland für unterrepräsentiert, die auf Feldern wie der Bio-, Nano-, Werkstoff-, Antriebs- oder Computertechnologie die größten Entwicklungs- und Anwendungspotenziale aufweisen. Im Übrigen steht es einer der nach wie vor größten Volkswirtschaften gut an, auf Feldern wie Telekommunikation, Logistik, Luftverkehr, moderne Werkstoffe, Finanzdienstleistungen oder Versicherungen der Standort großer, international aufgestellter Unternehmen zu sein und zu bleiben. Gelingt es darüber hinaus, die Rahmenbedingungen insbesondere für technologieorientierte Existenzgründungen zu verbessern und das unterschätzte Potenzial der sogenannten Kreativwirtschaft stärker zu mobilisieren, wäre Deutschland aufkommende Herausforderungen im globalen Wandel deutlich besser vorbereitet, als wir das heute von uns behaupten können.
Diese Kreativwirtschaft - Design, Architektur, Musik, Software und Spiele, Mode, Film, Werbung und anderes - verdient in Deutschland eine sehr viel größere öffentliche und politische Aufmerksamkeit. Andere Länder - wie in diesem Fall vor allem Großbritannien - sind da aufgeschlossener. Die Kreativwirtschaft umfasst in Deutschland dem Jahrbuch Kulturwirtschaft 2007 zufolge immerhin fast 220000 steuerpflichtige Unternehmen mit einem Umsatz von über 125 Milliarden Euro und einer Wertschöpfung der Kulturwirtschaft von 36 Milliarden Euro und der gesamten Kreativwirtschaft von 58 Milliarden Euro. Letzteres entspricht einem Anteil am BIP von immerhin 2,6 Prozent und liegt damit direkt hinter dem Kreditgewerbe und der Automobilindustrie.
Die Bedingungen dieser Kreativwirtschaft stimmen allerdings nüchtern. Es handelt sich um eine höchst unsichere, meist selbständige Beschäftigung mit starken Zügen der Selbstausbeutung und selten angemessenen Einkommen. Das geistige Eigentum, ihr wichtigstes Kapital, wird so gut wie nie als Sicherheit für Kredite akzeptiert. Es lässt sich leicht kopieren, plagiieren oder imitieren - also stehlen. Die soziale Absicherung ist häufig gleich null. Die in der Kreativwirtschaft arbeitenden Menschen sind »eine flüchtige Klasse mit zum Teil flüchtigen Ideen an zum Teil flüchtigen Orten. Standorte werden zu Bewegungsräumen der Kreativkarawanen.« Die wichtigsten Magneten für diese kreative Klasse - so fährt der Präsident der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, Stephan A. Jansen, fort - sind eine Kultur der Toleranz, Bildung, ein kreatives Umfeld auch durch die öffentliche Förderung kreativer Produktionen und Dienstleistungen und eine hohe Aufgeschlossenheit für Wissenschaft und Forschung. Womit wieder einmal auf Bedingungen verwiesen wird, die in Deutschland von einer Ideallinie ziemlich weit entfernt sind. Die Kultur der Toleranz sieht sich durch zunehmende Ressentiments gegen Minderheiten herausgefordert. Das Bildungssystem ist stark reformbedürftig. Wissenschaft und Forschung sind unterfinanziert und fühlen sich nicht selten hilflos einer öffentlichen Debatte mit einer starken Akzentuierung der Risiken gegenüber den Chancen ausgesetzt. Und jedwede öffentliche Förderung wird von einer maroden Haushaltslage begrenzt.
In einem internationalen Vergleich könnten die Staatsverschuldung in Deutschland und die fortwährenden jährlichen Haushaltsdefizite zu einer gewissen Unbekümmertheit führen. Dafür gibt es keinen Anlass. Im Gegenteil: Die Zeiger sind längst im roten Bereich. Dass wir uns international weniger schlecht darstellen können, ist auf den Aufschwung der Jahre 2006 bis 2008 und eine tendenziell richtige Haushaltspolitik der großen Koalition zurückzuführen, was sich an nüchternen
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