Unterm Strich
Zahlen belegen lässt. Tatsächlich wird das Ausmaß der Staatsverschuldung auch in Deutschland zu dem beherrschenden Problem der nächsten Jahre. Damit soll nicht die Schreckensvision einer Staatspleite beschworen werden, wie sie der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff allerdings nach Analyse historischer Finanzkrisen und der Spiegelung ihrer Auswirkungen auf die heutigen Verhältnisse für einige Staaten Europas keineswegs ausschließt. Aber das Staatsdefizit von über 1700 Milliarden Euro (2009) mit deutlich wachsender Tendenz im Jahr 2010 und darüber hinaus, begleitet von einer sich dramatisch verschlechternden Finanzlage der Kommunen, wird auf Jahre tiefgreifende Konsequenzen für die politischen Gestaltungsspielräume und die Quantität wie Qualität öffentlicher Leistungen haben.
Das ist bisher den meisten noch nicht klar. Jeder Zweckoptimismus, der sich auf das Wachstum richtet und mit dem diese Realitäten sogar verdrängt werden, ist fehl am Platz. Er macht alles nur noch schlimmer, weil er die Einsicht in Notwendigkeiten versperrt.
Einer wachsenden Staatsverschuldung entkommt man nur durch eine Erhöhung staatlicher Einnahmen und/oder eine Senkung der staatlichen Ausgaben. Das ist die platte und undifferenzierte, aber unabweisbare Kurzformel, mit der man das Nervenkostüm von Politik und Öffentlichkeit trefflich strapazieren kann, weil sie diese einfache Rechnung offenkundig nicht hören wollen. Eine differenziertere Ableitung läuft darauf hinaus, dass die Einnahmeseite zumindest nicht durch weitere Steuersenkungen geschwächt und die Ausgaben auf investive Zwecke, die Wachstumsimpulse senden, umgeschichtet werden sollten. Das würde dem Vorwurf prozyklischen Verhaltens begegnen, reicht aber nach meiner Einschätzung nicht aus, um den Hals aus der Schlinge zu ziehen.
Auf der politischen Agenda dürften nicht Steuersenkungen, sondern, unter Beachtung ihrer Konjunkturelastizität, Steuererhöhungen und Steuervereinfachungen stehen, keine Wohltaten, sondern Subventionsabbau, keine Klientelbedienung, sondern Rücksicht auf die Masseneinkommen. Dem entspricht die Bundesregierung nicht mit ihren bisherigen Beschlüssen zum Haushaltsplan 2011 und zur mittelfristigen Finanzplanung. Die Belastungen der Bürger sind konkret, aber unausgewogen und unsozial - erst recht unter Einbeziehung der Beschlüsse zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Einnahmeverbesserungen sind vage. Über ihnen liegt eine erhebliche Unsicherheit.
Die Kombination von Konsolidieren und Investieren entspricht der »Doppelstrategie«, mit der der frühere US-Finanzminister Robert Rubin während der ersten Präsidentschaft von Bill Clinton die fiskalischen Trümmer der Reagan-Ära und der vier Jahre von Bush sen. beseitigte und das US-Budget im Jahr 1998 in einen Überschuss lenkte. Robert Rubin und ich haben uns während meiner Amtszeit in New York und Berlin getroffen, wann immer es sich einrichten ließ. Ich erinnere mich insbesondere an einen gemeinsamen Auftritt auf einem SPD-Wirtschaftsforum in Berlin im Juni 2006, bei dem ich ihm unverhohlen erklärte, dass ich seine Kombination aus Konsolidierung und investiven Impulsen seit Beginn meiner Amtszeit als Bundesfinanzminister im November 2005 nachahmen würde, ohne ihm dafür Tantiemen zu zahlen.
Diese Strategie war zwischen Ende 2005 und Ende 2008 keineswegs erfolglos. Die große Koalition konnte in dieser Zeit unter der Überschrift »Investieren, Sanieren, Reformieren« das strukturelle Defizit von rund 50 Milliarden Euro und die Nettoneuverschuldung von 31,2 Milliarden auf 11,5 Milliarden Euro senken. Dementsprechend rutschte das staatliche Haushaltsdefizit von minus 3,7 Prozent schon im Jahr 2007 nicht nur unter das Maastricht-Kriterium von minus 3 Prozent, sondern sprang sogar mit 0,2 Prozent leicht in den Plusbereich. Selbst 2008 konnten wir die schwarze Null halten. Wenn die Finanz- und Wirtschaftskrise uns nicht erwischt hätte, dann ...!
Leider formt sich die Welt nicht nach unseren Vorstellungen. Aber der damals in greifbare Nähe gerückten Perspektive, bei einem durchschnittlichen Konjunkturverlauf im Jahr 2011 zum ersten Mal nach 42 Jahren wieder eine Neuverschuldung des Bundes von null auszuweisen, der trauere ich nach.
Kein Hirngespinst ist es dagegen, dass dieser Kurs zwischen 2005 und 2008/2009 Deutschland in eine fiskalisch deutlich bessere Ausgangsposition als die meisten anderen EU-Staaten gebracht hat, um die Finanz- und Wirtschaftskrise
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