Unterm Strich
hätten die Fragen lauten müssen. Stattdessen gewann die Ein-Thema-Partei mit dem Kehrreim »Steuern runter« und durfte sich durch ihr Wahlergebnis vom 27. September 2009 triumphierend bestätigt sehen - wenn sie dieses nicht so grandios falsch gedeutet und anschließend in einem selbst für die schnelllebige Politik bemerkenswerten Tempo vergeigt hätte. Die Geschichte des Steinmeier-Papiers hinterlässt jedenfalls Ratlosigkeit und Resignation. Sie steht in einem merkwürdigen Kontrast zum (angeblichen) Bedarf an politischer Programmatik und Perspektive. Alle hartgesottenen Handwerker von Wahlkampagnen haben dagegen recht bekommen in ihrer Auffassung, dass es in Wahlkämpfen auf einfache Botschaften ankommt, die penetrant wiederholt werden müssen.
Das Papier war also wahlkampfuntauglich. Ich grabe es wieder aus, weil es mehr als der bloße Versuch war, von einem Standort im Sommer 2009 einen Weg in das nächste Jahrzehnt zu beschreiben. Das Papier befasst sich in acht Punkten mit einer Modernisierung des Produktionsstandorts Deutschland, dem Entwicklungspotenzial der Gesundheits- und der Kreativwirtschaft als Wirtschaftsfaktoren wie auch als Treiber gesellschaftlicher Prozesse, der Stärkung der Binnennachfrage durch eine gerechtere Einkommensverteilung und öffentliche Investitionen, der Schlüsselkategorie Bildung, der Revitalisierung der sozialen Marktwirtschaft, der Gleichberechtigung von Frauen auch in Führungspositionen, dem Ausbau moderner und intelligenter Netze in den Bereichen Kommunikation, Energie und Verkehr sowie abschließend mit der Regelung der Finanzmärkte. Das sind acht Felder, auf denen sich Zukunft in Deutschland ergibt - oder gestaltet wird. Das Papier plädiert für Gestaltung und macht dazu Vorschläge. Denen haftet kein parteipolitischer Mief an. Sie mögen unzulänglich und umstritten sein, aber bieten deutlich mehr, als der politische Markt sonst im Angebot hatte und bis heute hat.
III Im Kessel der Finanzkrise
In einer der vielen internationalen Sitzungen, in denen wir über die Finanzmarktkrise und ihre Folgen brüteten, schob mir meine französische Kollegin Christine Lagarde einen Zettel zu. Darauf stand: »The difference between communism and capitalism: In communism, you nationalize banks and they go bankrupt. In capitalism, the banks go bankrupt and then you nationalize them. Make your choice ...« Das war für mich einer der wenigen Momente der Erheiterung in der hochangespannten Zeit seit Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007.
Tatsächlich war etwas passiert, das die weltweite Finanzarchitektur beinah ausgehebelt hätte und zu einer der schwersten nichtmilitärischen Bedrohungen für die Stabilität und den Wohlstand vieler Länder eskalierte. Diese Bedrohung ist noch nicht vorbei, da ihre Ursachen noch nicht bezwungen sind. Ihre Nachwirkungen werden uns länger beschäftigen als jede andere Finanz- und Wirtschaftskrise in den vergangenen Jahrzehnten. Die Welt wird nach dieser Krise anders aussehen als vor ihrem Beginn. Die Vorstellung, es gebe mit ihrer Überwindung eine Art Reset und der Lauf über das gleiche Spielfeld mit den gleichen Regeln könne von vorn beginnen, ist ebenso naiv wie gefährlich.
Die Finanzkrise im Zeitraffer
Der bisherige Verlauf der Krise lässt sich in vier Phasen einteilen; wir haben inzwischen die vierte Phase erreicht. Man kann auch von einer vierfachen Krise reden - einer Finanz-, Wirtschafts-, Fiskal- und Staatskrise einzelner Länder. Sie begann in dem relativ fernen und unbedeutend erscheinenden Markt für zweit- und drittklassige Hypothekenkredite in den USA. Nach dem Terroranschlag auf New York und Washington vom n. September 2001 betrieb die US-Zentralbank unter ihrem Guru Alan Greenspan eine Politik des billigen Geldes, um einen Übersprung dieses Schocks auf die Wirtschaft der USA im Ansatz zu ersticken. Die Federal Reserve Bank (Fed) senkte ihren Leitzins innerhalb weniger Monate von 6,5 Prozent auf 1,75 Prozent, bis 2004 sogar weiter auf 1 Prozent. Die Idee, diese Politik mit einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte zu verbinden, flackerte nicht einmal auf. Das hätte nach Ansicht der Fed nur Druck auf die geöffneten Schleusentore ausgeübt und den Jubel der Finanzindustrie gedämpft.
Das niedrige Zinsniveau löste einen Konsumrausch auf Pump aus. »Buy now, pay later« hieß die Devise, egal, ob es sich um Häuser, Autos, Konsumartikel jedweder Art handelte. Gekauft wurden auch und insbesondere Produkte - vom
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