Unterm Strich
darüber auch als Finanzplatz insgesamt schweren Schaden erleiden würde, wenn ausgerechnet wir als Erste eine Bank an die Wand fahren ließen.
In späteren öffentlichen Diskussionen mit Bürgern ist mir mehrfach das Argument begegnet, man habe bei der IKB den Fehler einer Auffanglösung begangen, die letztlich mehr als 10 Milliarden Euro überwiegend öffentlicher Gelder gekostet habe. Das sei keine Marktwirtschaft. In der Marktwirtschaft gehöre »bestraft«, wer sich verzockt habe, Fehlverhalten dürfe nicht folgenlos bleiben. Vielmehr gelte das chinesische Sprichwort: »Wenn du die Affen warnen willst, dann schlachte ein Huhn.« Mir waren diese Argumente nicht unsympathisch. Wenn ich in der Diskussion dann allerdings erwähnte, wie viele private und institutionelle Anleger Geld bei der IKB liegen hatten, das bei einem Insolvenzverfahren weitgehend perdu gewesen wäre, und die Zuhörer dann auch noch darauf hinwies, dass unter den institutionellen Anlegern möglicherweise ihre eigene Sparkasse, ihre Berufsgenossenschaft oder ihre Versicherung gewesen sein könnte, die entsprechende bilanzielle Abschreibungen hätte vornehmen müssen, dann wuchs das Verständnis für die äußerst unbequeme Lage.
Mit dem IKB-Wochenende war das Grundmuster der folgenden Monate im Wesentlichen gelegt: massives Managementversagen, instabile Geschäftsmodelle von Banken, hohe Infektionsgefahren, internationale Verflechtungen des deutschen Finanzplatzes, Systemrelevanz selbst kleinerer Finanzinstitute, konstruktive Zusammenarbeit mit ausgesuchten und verantwortungsbereiten Vertretern des Bankensektors und der Aufsicht, der Staat als »lender of last resort« - also als der große Gewährleister am Ende der Kette - und der Stress, bei unvollständigen Informationen in kürzester Zeit weitreichende Entscheidungen verantworten zu müssen. Der frühere Chefvolkswirt der EZB, Otmar Issing, brachte Letzteres als Antwort auf manchen Schlauberger, der aus dem Rathaus kommt, auf den trefflichen Nenner, dass der Zwang zu entscheiden den besseren (späteren) Einsichten in die wirklichen Zusammenhänge immer vorausgehe. Was sich danach noch alles ereignen würde, ahnte im Juli 2007 keiner der Beteiligten.
Samstag, 9. Februar 2008
An diesem Tag fand ein Treffen der G7-Finanzminister unter japanischem Vorsitz in Tokio statt. Das Datum ist mir deshalb in Erinnerung, weil ich nach den Einlassungen meines US-amerikanischen Kollegen Hank Paulson und vor allem nach dem Beitrag des Chefs der amerikanischen Notenbank, Ben Bernanke, völlig konsterniert war. Offenbar ging es dem neben mir sitzenden Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, ähnlich. Man musste den Eindruck gewinnen, als wäre im Grunde gar nichts passiert. Es hatte einen Wassereinbruch gegeben. Der war zwar größer als bei früheren Havariefällen, und das Leck war auch nicht in einem kleinen Schwellenland, sondern in den USA entstanden, aber dort würde es auch abgedichtet. Kein Anlass zur Beunruhigung.
Fast genau eine Woche später verstaatlichte die britische Regierung die Hypothekenbank Northern Rock, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit ihrer Spareinlagen nicht zu gefährden. Dazu musste der britische Staat mehr als 75 Milliarden Euro an Notkrediten und Ausfallgarantien aufwenden. Zu derselben Zeit beantragten in den USA mehrere speziell auf das Subprime-Segment ausgerichtete Hypothekenfinanzierer Gläubigerschutz. Die größten amerikanischen Investmentbanken verzeichneten Verluste in Milliardenhöhe. Mitte März 2008 stand die fünftgrößte Investmentbank, Bear Stearns, vor dem Bankrott und musste gerettet werden.
Als ich aus Tokio abreiste, war ich mir unsicher, ob die Amerikaner uns in Kenntnis der Dramatik durch eine ziemlich unterkühlte Darstellung von hektischen und (aus ihrer Sicht) überzogenen Reaktionen abhalten wollten oder ob sie keine Ahnung hatten. Vielleicht hatten sie uns auch nur hinter die Fichte geführt, um unserer geballten Kritik an dem von ihnen verursachten (aber von uns mitbefeuerten) Desaster zu entgehen. Kein Beitrag in Tokio wirkte beruhigend auf mich.
Montag, 15. September 2008 / Dienstag, 16. September 2008
An diesen beiden Tagen stand die Welt an einem Abgrund. Am Montag musste das 150 Jahre alte Investmenthaus Lehman Brothers, bis dato eine der renommiertesten und ehrwürdigsten Adressen der Wall Street, Konkurs anmelden, weil es die US-Regierung ablehnte, sich erneut mit Steuergeldern an einer
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