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Unternehmen CORE

Unternehmen CORE

Titel: Unternehmen CORE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Preuss
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Flüstern.
    Leidy fand ihn mit der Taschenlampe, eine blasse gekrümmte menschliche Gestalt, die auf einem geisterhaft weißen Schutthügel lag.
    »Ich habe ein Seil«, sagte Leidy.
    »Keine Chance«, flüsterte Mendez.
    »Was kann ich tun?«
    »Wasser?«
    »Ja, hier.« Leidy hielt ihm die volle Feldflasche hin.
    Mendez besaß genügend Kraft, sie in seine Hände zu nehmen und daraus zu trinken. Er ließ die schwere Flasche auf seiner Wange ruhen. »Hol Hilfe. Ich brauche einen Arzt.«
    »Ich soll dich hier alleine lassen?«
    »Schau, daß du verdammt noch mal wieder das Seil hochkommst.«
    »Hier, ich habe M&M’s gebracht. Willst du meine Taschenlampe?«
    »Nein. Geh.«
    Das Seil hochzuklettern, das wußte er nach wenigen Sekunden, war die härteste körperliche Anstrengung, die er jemals unternommen hatte. Er rutschte einen Meter nach unten, hakte sich fest, begann von neuem, rutschte wieder einen Meter ab – die Hälfte der Strecke bis nach oben. Das dritte Mal schaffte er es über die Kante, trotz des Brennens seiner Hände. Seine Handinnenflächen waren offen, Blut trat hervor; die Narben würden immer bleiben.
    Als er sich über die Kante schwang, spürte er die Enden verfaulter Planken gegen seinen Magen stoßen. Jemand hatte den Schacht vorsätzlich mit morschen Brettern bedeckt und darüber Dreck gestreut. Keine Schürfer. Irgendwelche Bastarde, die wollten, daß irgend jemand reinfiel und starb. Eine Fallgrube. Vielleicht hätte Mendez gesagt, sie wußten nicht, was sie mit sich anfangen sollten.
    Leidy rannte aus der Mine, setzte sich in den Truck und fuhr die dreißig Meilen nach Austin, zur nächsten Polizeistation. Es dauerte drei Stunden, bis wieder jemand zur Mine kam, die Rettungssanitäter brachten alles mit, was notwendig war. Wenn sie Mendez hätten retten können, dann hätten sie ihn gerettet. Er war tot, als sie eintrafen.
     
    Es gab später einige Komplikationen, einige davon blieben Leidy im Gedächtnis. Er konnte niemals ganz verstehen, warum seine Mutter und sein Vater ihn fragten, warum er zu Mendez’ Beerdigung nach Kalifornien wollte. Er konnte ihnen deswegen nicht vergeben. Die kalten leeren Blicke, die er von Mendez’ Frau und den Kindern bekam, konnte er verstehen. Er konnte ihnen vergeben, aber er konnte sie nicht vergessen. Er war sich nicht einmal sicher, ob er sich selbst vergeben konnte. Oder Mendez, weil er nicht durchgehalten hatte, bis er zurück war.

 
MANHATTAN 1985
     
    Ein dunkler Oktobermorgen; der Regen ging so hart nieder, daß von Dink Pearces Bürofenster aus kaum was zu sehen war. Die Lichter auf seiner Telefonanlage blinkten wie in der Vorweihnachtszeit. Seine Sprechanlage summte diskret. »Noch nicht«, schrie er hinein.
    »Ja, Sir«, erwiderte seine verwirrte Sekretärin.
    Auf Dinks Schoß befand sich ein dickes Dokument, der schwarze Umschlag war mit einem weißen Etikett beklebt, auf dem in Schwarz ein einziges Wort stand: CORE. Dink schlug das Cover um, blätterte durch und suchte die Stelle, die er verloren hatte. Er überflog die Textteile und besah sich die Diagramme, die mit Desktop-Graphikprogammen erstellt waren.
    Skizzen von neuen Werkzeugen und neuen Maschinen. Pläne von Kraftwerken, der Wasserversorgung, Versorgungseinrichtungen. Gebäude für eine kleine Stadt. Karten der Transportwege, der Städte und Dörfer, von geologischen Strukturen.
    Tabellen mit den geschätzten Kosten – »Wow«, stieß Dink aus – eine Summe, die beinahe einem Drittel des jährlichen Verteidigungshaushalts der Vereinigten Staaten entsprach, und das jedes Jahr, fast ein Jahrzehnt lang.
    Dink seufzte und ließ die Akte auf seinen Schreibtisch fallen. Ein Loch zur Mitte der Erde. Warum nicht gleich bis nach China?
    Es gab nicht die geringste Möglichkeit, daß das auch nur einer mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm. Die Vereinigungen der Physiker und Geologen hatten Komitees, die das wandernde Magnetfeld beobachteten. Die National Academy of Sciences hatte eine Gruppe, die sich mit dem wandernden Magnetfeld befaßte. Die OTA, die NSF, die USGS, sechs andere föderale Vereinigungen und mindestens zehn Kongreß-Komitees ließen ihre Mitarbeiter alles zusammentragen, was an Wissen über das wandernde Magnetfeld vorhanden war. Dies war der American Way, mit Krisen umzugehen – warten, bis die Tatsachen eingetreten sind, und dann Komitees bilden.
    Solchem Enthusiasmus waren Grenzen gesetzt. Was stand politisch auf dem Spiel, die Bergregionen der dünn besiedelten Staaten im

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