Unternehmen Vendetta
Restaurant mit nur wenigen freien Tischen und einigten sich darauf, das für ein gutes Zeichen zu halten. Also gingen sie hinein, setzten sich und zeigten auf verschiedene, ihnen unbekannte Gerichte, da im Lokal niemand Englisch oder eine andere begreifliche Sprache beherrschte.
Carl entdeckte schnell, daß überdies nur italienische Weine auf der Weinkarte standen, in einem kleinen Buch, in das alle Etiketten eingeklebt waren wie bei einem Bilderbuch für Kleinkinder. Carl zeigte auf ein schwarzes Etikett mit dem Namen CATULLO in weißen lateinischen Versalien. Er wählte nur nach der Farbe des Etiketts und der Neugier auf einen Wein, der nach einem geilen Poeten benannt worden war. Er wußte über italienische Weine genausowenig wie über Italien im allgemeinen.
Da Carl seiner Gewohnheit getreu ein Glas Orangensaft in sich hineingekippt und sich zurückgelehnt hatte und im Flugzeugsessel sofort eingeschlafen war, nutzte Joar die Flugstunde nach Palermo für seine Lektüre. Das Unternehmen war jetzt irgendwie in Gang gekommen. Das Handlungsmuster war also gegeben, und jetzt galt es, etwas über den Feind zu lernen. Er hatte fünf oder sechs Bücher. Es war alles, was er im Lauf eines gehetzten Vormittags in der Stockholmer Innenstadt hatte zusammenraffen können.
Er hatte bislang alle Geschichten über die Mafia als Legenden angesehen, als eine Art Hollywood-Unterhaltung des gleichen Typs wie bei den Wildwest-Filmen. Marlon Brando konnte mal einen reitenden Revolverhelden spielen, mal den Paten; Joars einziger Kontakt zum Thema waren überdies die Paten-Filme gewesen.
Bei Carl sah es ähnlich aus. Sie hatten ein paar Mal darüber Witze gemacht, und auch Carl schien es für gegeben zu halten, daß die eine Legende so verlogen war wie die andere. Da es sowieso keinem Menschen je gelingen würde, aus der Hüfte Löcher in Dollarmünzen zu schießen, dazu noch mit Waffen, die in den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hergestellt waren, während die Münzen durch die Luft segelten, mußten die Geschichten über die Mafia genauso unwahr sein wie die Rambo-Filme.
Aber schon das wenige, das Joar in dem Buch las, das er aufs Geratewohl aus der Tasche gezogen hatte, ließ ihn sofort ein wenig umdenken. Je weiter er las, um so mehr würde er sein Urteil revidieren müssen, das wurde ihm schnell klar. Er entdeckte viele konkrete Informationen.
Der Einfachheit halber hatte er von hinten begonnen und nicht bei der Entwicklung der sizilianischen Dörfer seit dem neunzehnten Jahrhundert und derlei.
Er schlug das Kapitel »Der Mafia-Krieg in Palermo 1981- 1983« auf. Das taktische Auftreten des Feindes im Kampf mußte am schnellsten zu dem notwendigen Wissen führen.
Am meisten fiel Joar die theatralische Grausamkeit auf. Die Mafiosi brachten einander gegenseitig nicht nur in großen Zahlen um - allein in Palermo waren im Lauf weniger Jahre drei bis vierhundert Männer getötet worden -, sondern legten offensichtlich auch großen Wert auf das Vorgehen dabei. Sie schnitten ihren toten Gegnern die Köpfe ab und legten diese auf die Vordersitze geparkter Autos oder schickten sie den Angehörigen nach Hause, schnitten ihren Opfern die Geschlechtsteile ab und stopften sie ihnen in den Mund. So wurden Leichen geschändet, die wegen Unmännlichkeit verhöhnt werden sollten. Wer wegen Habgier oder Unzuverlässigkeit verächtlich gemacht werden sollte, bekam Geldscheine in den Mund gestopft. Sie verwendeten normalerweise Automatikwaffen aus nächster Nähe, manchmal mit panzerbrechender Munition, um einander die »schußsicheren« Wagen zu durchlöchern, aber Autobomben waren auch eine häufig vorkommende Methode. Die siegreiche Gangsterbande mit Hauptquartier in Corleone - es schien den Ort tatsächlich zu geben - hatte im Hafen von Palermo außerdem eine Folterkammer eingerichtet. Zweck der Folter war nicht etwa die Beschaffung von Informationen bei den Opfern, sondern diese sollten unter so demütigenden Formen wie möglich sterben. Dabei verwendeten die Mafiosi Zementwannen mit Schwefelsäure, Eisenketten und Stromstöße.
Ein junger Mann namens Inzerello, der Sohn eines der Anführer auf der Verliererseite, hatte aus »pädagogischen« Gründen seinen rechten Arm verloren. Man hatte ihm den Arm abgeschnitten, um ihm so zu verstehen zu geben, daß er seinen Vater lieber nicht rächen sollte. Dann war den Leuten offenbar eingefallen, daß diese Methode nicht effektiv genug war, um Rachegefühle zu verhindern, und sie
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