Unternehmen Vendetta
denken. Er begann über Carl zu grübeln, den ihr Auftrag so sonderbar gleichgültig ließ. Immerhin ging es dabei, ob das nun merkwürdig war oder nicht, um gefangene Landsleute. Vielleicht saßen die beiden irgendwo hier in Palermo, vielleicht auch draußen auf dem Land, waren gefesselt und fürchteten, ihr letztes Stündlein sei gekommen, wenn sie jemanden hörten. Allein schon die Ungewißheit mußte eine Hölle sein.
Konnten sie miteinander sprechen? Wenn ja - worüber sprachen sie? Wie hätten er selbst und Åke oder Carl versucht, den seelischen Teil des Überlebens zu bewältigen?
Sie hätten einander Erinnerungen erzählt, hätten über die Weltlage diskutiert, die Vernichtung des Irak, ihre Prognosen über die Entwicklung im Baltikum, die sich bewahrheitet hatten, über die neuen Prognosen, die eindeutig in Richtung Bürgerkrieg und Flüchtlingsströme über die Ostsee wiesen.
Oder wären sie vielleicht persönlicher geworden, hätten von Liebe und Familienleben gesprochen. Irgend etwas bei Carl schien darauf hinzudeuten, daß es ihm in dieser Hinsicht nicht besonders gut ging. Vielleicht war das der Grund dafür, daß er an diesem Auftrag so wenig interessiert war. Sie hätten hin und her über Åkes Zukunft in der Organisation gesprochen, die Aufgaben der beiden neuen Jungs diskutiert, die bald aus San Diego nach Hause kommen würden.
So, etwa so, hätte dieser Teil des Überlebenstrainings wohl ausgesehen. Sie selbst waren darin trainiert und psychologisch vorbereitet, hatten ähnliche Situationen sogar geübt. Aber wie erging es zwei normalen netten schwedischen Wirtschaftsbossen? Sprachen sie etwa über die Möglichkeiten zu flüchten?
Joar hielt ungefähr einen Kompaßkurs. Doch obwohl er sich völlig sicher war, was Richtung und Entfernung des Ziels betraf, mußte er trotzdem einige Stadtviertel passieren, die sie noch nicht hatten inspizieren können und die auf dem Stadtplan wie normale Wohngebiete aussahen.
Es waren jedoch recht heruntergekommene Viertel, in denen er schon bald der einzige Mann in Anzug und Krawatte war. Er war in enge Gassen geraten, in denen kreuz und quer zwischen den Häusern Wäscheleinen gespannt waren. Auf den Bürgersteigen lagen Haufen von Unrat, die von Fliegenlarven und Ratten wimmelten. Er überlegte, ob er umkehren sollte, schätzte aber die Möglichkeit, diese Viertel schnell zu verlassen, falsch ein. So verirrte er sich immer tiefer und tiefer in diese unbekannte und bedrohliche Gegend. Er sah nur einen einzigen klaren Vorteil: daß er jetzt mit Sicherheit davon ausgehen konnte, daß niemand ihn verfolgte. Dennoch fühlte er sich wie ein wandernder Lockvogel für einen Überfall und machte sich Sorgen, er könnte mit zerrissenen Kleidern oder Blutflecken auf dem Hemd zu dem Essen erscheinen. Das würde keinen guten Eindruck machen. Er steigerte das Tempo ein wenig, um jederzeit jeden überraschen zu können, der ihn entdeckte. Er sah fragende Blicke bei den Menschen, die ihm in der Dunkelheit entgegenkamen oder hinter Fensterläden auf die Straße blickten, konnte sich aber nicht vorstellen, was die feindselige Umgebung von diesem gutgekleideten Besucher hielt. Vielleicht war es nur ein Freier, der sich verirrt hatte, oder ein Mann, der so gefährlich war, daß er nichts zu befürchten brauchte; vielleicht war die letzte Alternative doch die wahrscheinlichste. Wie auch immer: Angst war der schlimmste Feind. Er mußte sich entschlossen und ohne Zögern bewegen, damit keiner der wenigen Männer, denen er in den Gassen begegnete, allzu ehrgeizige Impulse bekam.
Als ein Moped sich schnell von hinten näherte, trat er zur Seite und wirbelte herum. Auf dem Moped saßen zwei junge Leute. Der Fahrer bremste zögernd, doch als er Joar in die Augen blickte, gelang es diesem, die richtige Botschaft zu übermitteln, so daß das Moped erneut schneller wurde und in der Gasse verschwand. Kurz darauf befand sich Joar auf einer dichtbefahrenen Hauptstraße, etwa an der Stelle, an der er hatte herauskommen wollen. Er ging langsamer weiter. Nach ein paar Schritten blieb er stehen, zog ein Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
Als Carl sich dem vereinbarten Treffpunkt näherte, waren es noch weniger als dreißig Sekunden bis zum verabredeten Zeitpunkt. Er sah jedoch weder Joar noch einen Wagen mit der Zahl dreizehn im Kennzeichen. Carl dachte auch nicht daran, sich suchend umzusehen, da er selbst leicht zu entdecken war.
Er war vergleichsweise blond
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