Unternehmen Vendetta
geschieht.«
»Lassen Sie uns jetzt bitte kurz zu den praktischen Dingen kommen«, entgegnete Carl kalt.
»Gern«, sagte Da Piemonte ohne sonderliche Begeisterung.
»Wie sollen wir mit Ihrer weiteren Bewachung verfahren? Sollten wir Sie nicht auch auf geeignete Weise bewaffnen?«
»Keine Bewachung. Wir haben unsere Verhandlungen mit Mr. Tommaso noch nicht zu Ende gebracht. Waffen sind sinnlos. Wenn wir mit ihnen verhandeln, nehmen sie uns ohnehin erst die Waffen ab, und wir übergeben sie ihnen außerdem sichtbar und freiwillig. Doch dann könnten sie irgendwie auf Abwege geraten und bei irgendwelchen Morden verwendet werden. Das würde weder uns noch Ihnen Freude machen.«
Carls Feststellungen waren vollkommen logisch, das gab Da Piemonte mit einer resignierten Geste zu. Die Logik schien ihn gleichwohl nicht vollständig zu überzeugen.
»Brauchen Sie irgendwelche praktischen Informationen?«
fragte er beinahe müde und warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr.
»Ja«, erwiderte Carl. »Diese Bande, heißt die nicht cosca ? Also diese Gangsterbande Don Tommasos. Haben die für ihre Schmuggeleien einen Verschiffungshafen?«
»Ja. Sciacca an der Südküste. Es liegt auf dem Territorium der Corleonesen, aber die Familien scheinen eine Art pragmatischen Frieden erreicht zu haben. Soll das auch für Waren gelten, die von Sizilien geschmuggelt werden?«
»Kein Kommentar. Aus Gründen, die ich schon genannt habe. Wenn die Zeit reif ist, werden wir alles sagen, was wir wissen.«
»Was wollen Sie sonst noch wissen?«
»Erzählen Sie uns von der Mafia, Dinge, die uns vielleicht nützen könnten. Wir haben heute abend schon eine Menge gelernt, müssen aber zugeben, daß wir ein wenig eckig und militärisch sind. Wir denken zu geradlinig. Würden Sie so freundlich sein, uns ein wenig Unterricht zu geben?«
Carl sah aufrichtig aus und schien es wirklich zu wollen. Oberst Da Piemonte ließ sich sofort erweichen, verlangte aber, erst etwas Grappa einzuschenken.
Carl und Joar lehnten erschreckt ab. Ihre nächtlichen Streifzüge in Richtung Hotel verlangten ein gesteigertes Maß an Nüchternheit.
»Schon der Begriff Mafia ist dubios«, begann Da Piemonte.
»So gibt es beispielsweise von der Mafia gekaufte Politiker, die allen Ernstes behaupten, es gebe überhaupt keine Mafia. Der maximale Gegenstandpunkt läuft darauf hinaus, daß die Mafia in ganz Italien insgeheim regiert.
Beide Standpunkte sind gleichermaßen unsinnig. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Die Frage lautet also, was man unter ›Mafia‹ versteht. Und diese Frage kann kein lebender Mensch, auch kein Toter, weder ein Mafioso noch ein von seiner heiligen Berufung erfüllter Staatsanwalt beantworten.
›Mafia‹ bedeutet jedoch freies Unternehmertum, mehr oder weniger große Unternehmen, die fast immer um eine oder mehrere Familien herum aufgebaut sind. Es hat sich eine ganze soziologische Wissenschaft um die Mafia herum entwickelt, Geschichtsschreibung und historische Erklärungen, etwa die, daß Sizilien immer wieder erobert worden ist und immer wieder unter Besetzung gelitten hat - wobei heute die Besetzung durch Rom gemeint ist. All das mag stimmen.
Entscheidend ist wahrscheinlich jedoch so etwas Einfaches wie Geld. Die jüngste Heroinraffinerie, die den Corleonesen gehört, obwohl sie im Machtbereich Don Tommasos liegt, in Alcamo, das auf der Karte in der Nähe von Castellammare leicht zu finden ist, hat 1,6 Tonnen Heroin pro Jahr produziert. Es gibt Gerüchte, daß verbesserte Pumpen aus Bulgarien die Produktion in manchen Raffinerien auf bis zu drei Tonnen im Jahr gesteigert haben. Und was drei Tonnen Heroin in Geld darstellen, ist entscheidend. Da greift militärische Logik. Als ich vor ein paar Jahren als Verbindungsoffizier in New York arbeitete, hatte man errechnet, daß die sizilianische Mafia, also nicht deren amerikanische Verwandte, ein Tageseinkommen von fünf Millionen Dollar waschen müsse.
Dieses Geld war der Kern. Beim Geld sitzt die Macht, das Geld ist die treibende Kraft, alles. Jede andere Überlegung wäre romantisch. Der traditionelle Mafia-Boß, den Don Tommaso auf seine sentimentale Art wiederherzustellen versucht, den gibt es im Grunde nicht mehr. Die arbeitslosen Lümmel auf den Straßen Palermos haben ihre Kenntnisse hauptsächlich aus dem Film Der Pate. Wenn wir die schnappen und verhören, weil sie irgendeiner alten Frau die Handtasche weggerissen haben, versuchen sie sogar wie Marlon Brando zu sprechen und
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