Unternehmen Wahnsinn
dass Spielregeln unumgänglich sind, die die Starken stärker und die Schwachen schwächer machen. Der Ex-VW-Chef Daniel Goeudevert beschreibt in seiner Kritik am Super-Kapitalismus dessen Mechanismen sehr genau – und mit ihm stimmen viele Ökonomen und Kenner der Materie überein, die nicht verdächtig sind, markt-, liberalisierungs- oder internationalisierungsfeindlich zu sein 28 . Die »Globalisierungsaktivisten« – eine agile Finanzindustrie, hochentwickelte Konzerne, aber auch Institutionen wie der IWF, die WHO und die Weltbank – treten im Namen der Freiheit auf, verfolgen aber tatsächlich eine Strategie, die konsequent darauf ausgerichtet ist, Märkte für die eigenen Industrien zu erobern. Staaten, deren Binnenmarkt stabil war, geraten durch die erzwungene Öffnung in kolossale Abhängigkeiten und Schieflagen, weil sie dieser neuen Form von Wettbewerb noch nicht gewachsen sind. Bemerkenswerterweise entwickelten sich Länder wie China oder Indien hervorragend, gerade weil sie sich den liberalistischen Forderungen von Weltbank und IWF verweigert und ihren Markt, gerade auch den Finanzmarkt, nicht vollständig dem Weltmarkt geöffnet haben.
Die Rede von der Globalisierung dient Großorganisationen also oft nur dazu, Expansionspläne und Markterweiterungen zu rechtfertigen. Das ist ein legitimes Eigen-Interesse, sollte aber als Machtpolitik begriffen und nicht als Freiheits- und Wohlfahrtversprechen missverstanden werden.
»Macht ist das Privileg,
nicht lernen zu müssen«
Ein viel zitierter Satz des Historikers und Politikwissenschaftlers Karl Deutsch. Er bedeutet: Macht ist prinzipiell daran interessiert, dass sich die Verhältnisse nicht ändern. Und in der Tat sind ja Organisationen, Systeme, Firmen fundamental daran interessiert, ihre Macht zu behalten bzw. zu erweitern. Multinationale Konzerne kämpfen verbissen um jeden Zentimeter ihrer Marktstellung und Machtposition.
Wie passt dazu die weitverbreitete Behauptung, dass jene Changeprozesse – das Fitnessrezept für den globalen Wettbewerb – Lernen, Entwicklung und Offenheit befördern (und nicht etwa Beharrung oder allenfalls Ausbau des Bestehenden)? Und wie passt wiederum dazu, dass Changeprojekte von vielen in diversen Unternehmen vor allem als unerfreulich empfunden werden? Kann es sein, dass der Change-Geist oftmals gerade kein Geist des Neuen, des Lernens, des Aufbruchs ist, sondern dass die inneren Treiber eines Change eher Durchsetzung, Machterhalt und Angst vor Machtverlust sind? Und dass die bisweilen massiven innerbetrieblichen Widerstände gegen Changes möglicherweise gar nicht der behaupteten (aber nirgends spürbaren) Erneuerung gelten, sondern der impliziten Gewalt?
Was ändert ein Change wirklich?
De facto sind es 1000 verschiedene Prozesse und Wirkungen, die im Namen eines Change ablaufen und erzielt werden. Zunächst wird »Change« in Unternehmen schlicht alles genannt, was irgendwie anders ist oder jetzt neu, nicht mehr so wie bisher, wieder mal anders und schneller gemacht werden soll. Vor diesem Hinter grund können Changeprozesse durchaus zu anspruchsvollen Selbst- organisationsprozessen führen. Wie in der Physik wird schon durch die Changeankündigung in der Organisation zuerst die Energiezufuhr erhöht, durch Dringlichkeit, Druck und Drive. Dadurch entstehen Turbulenzen, dann kommt es zu sogenannten emergenten, aus der Chaosforschung bekannten Phänomenen: Einzelne Elemente auf der Mikroebene verändern ihre Bewegung, verstärken oder verbinden sich wechselseitig so, dass es auf der Makroebene zu ganz neuen, nicht vorhersehbaren Mustern und Zuständen kommt. Prosaischer ausgedrückt: Ein Fuchs kommt in den Hühnerstall, und die Hühnerleiterhierarchie gerät gehörig durcheinander. Egal ob innerpsychisch oder in Gruppen, in Meeres- oder Hirnströmen, in Molekülen, bei Hühnern oder Planeten – bei energetischer Anregung über Temperatur oder Geschwindigkeit, kippt irgendwann das bisher vorhandene Gleichgewicht in einen neuen Zustand. Energiezufuhr schafft also immer Turbulenz. Und in turbulenten Systemen konkurrieren verschiedene, noch ungeordnete Bewegungsarten miteinander; eine erweist sich dann als erfolgreicher als andere; welche, ist allerdings nicht vorhersehbar und lässt sich nur begrenzt steuern.
Ein Changevorhaben ist aber zum Beispiel auch ein passabler Selektionsmechanismus, um herauszufinden: Wer im Unternehmen ist guten Willens, wer lässt sich mobilisieren, und wer verweigert den Kriegsdienst?
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