Unternehmen Wahnsinn
London) zu setzen und lebendig bzw. lebenstauglich zu machen. Dafür sind groß angelegte Rückübersetzungsmaßnahmen nötig.
Ursprünglich hatte man Organisationen gegründet, um die Transaktionskosten zu verringern; das sind Kosten, die entstünden, wenn jedes Geschäft mit immer wechselnden Protagonisten immer per Einzelvereinbarung geschlossen werden müsste. Inzwischen steigen die Transaktionskosten wieder, und zwar generell und vehement. Wenn die ganze Welt zu einer einzigen Organisation wird (nicht wenige Firmen versuchen sich ja an dieser Form der Alleinherrschaft), dann befinden wir uns entweder in einer Matrix-Diktatur – worauf die ungeheuren Datenakkumulationen und ausgeklügelten Überwachungs- und Kontrollmechanismen hinweisen. Oder wir kämpfen uns durch jenen chaotischen Dschungel, der wucherte, bevor sich die ersten Organisationsformen etabliert haben.
Unendlich viele Kraftfelder und Bewegungen – einmal standardisierend, einmal lokalisierend – verheddern oder neutralisieren sich. Man stelle sich vor: Jede einzelne Verbindung auf diesem Globus ist ja prinzipiell möglich und damit gleichermaßen unwahrscheinlich; frei nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik strebt die Weltfirma dem Zerfall und dem absoluten Kälte-Nullpunkt zu. In diesem Kosmos trifft irgendein Sternenschnipsel auf irgendeinen anderen kleinen dahintreibenden Kometensplitter – und ist schon froh, wenn die Begegnung nicht in einer Karambolage endet. Was man eigentlich voneinander will und braucht, ist irgendwo in den unendlichen Transaktionsweiten verloren gegangen.
Es kommt bei diesen Aufeinandertreffen in globalisierten Organisationen zu skurrilen Szenen: Hamburger Kollegen müssen für einen bestimmten Prozessschritt bzw. den dabei auftauchenden Problemen immer mit den indischen Kollegen telefonieren. Nun hat man sich auch als Hamburger das interkulturelle Wissen angeeignet, dass es angesagt ist, sich zuerst nach dem Befinden der Familie des indischen Gesprächspartners zu erkundigen. Auch wenn einen die gar nicht interessieren und man den Menschen wahrscheinlich auch kein zweites Mal am Telefon haben wird. Umgekehrt fragt auch der indische Kollege, was die Anruferin denn am Wochenende so gemacht hat. So muss sie erzählen, dass sie mit dem Gatten zum Shopping eben nach London geflogen ist. Oder zwei Tage die Rollläden runtergelassen und sich DVDs ihrer Lieblingsserie reingezogen hat, was nun möglicherweise den indischen Kollegen irritieren könnte, weswegen die Hamburger Kollegin ernsthaft überlegt, ob sie nicht per kleiner Notlüge ein kulturell kompatibleres Wochenendprogramm durchgeben soll, damit das Gespräch nicht so lange dauert. Es herrscht schließlich ziemlicher Projektdruck, weil ein bestimmter real existierender Fehler behoben werden muss. Neben all dem Gequassel verstehen beide nicht, warum dieser Fehler trotz Schulung und detaillierter Prozessbeschreibung, trotz bestem Willen und unzähligen Telefonaten immer wieder auftritt – aber sich über die Ursachen klar zu werden oder sich über generelle Lösungen zu verständigen, dauerte noch länger, die Zeit reicht nur für die Behebung des akuten Falles, außerdem verschiebt sich das Problem morgen auf ein anderes hanseatisch-indisches Kollegenpaar, das dann wieder neu am Telefon aufeinandertrifft und versucht höflich zu sein.
Mehrwertvernichtungskategorie 3: Ausbeutung mit Todesfolge
Die der Globalisierung geschuldete Machtakkumulation hinterlässt Sieger und Besiegte. Letztere gehen Konkurs und sind nicht mehr von Nutzen. Das ist fatal, denn auch das Räuber-Beute-Verhältnis ist prinzipiell als ein kooperatives Verhältnis angelegt, sagen uns die Evolutionsforscher. Geht der Räuberpopulation die Beute aus, dezimiert sie sich notwendigerweise mangels Nahrung. Währenddessen erholt sich die Beutepopulation, was wieder gut für die Räuber ist. Das bedeutet: Auch ein multinationaler Weltmarktführer sollte ein Interesse daran haben, die Kuh, die er melkt, nicht umkommen zu lassen.
Genau das aber geschieht regelmäßig. Etliche Wirtschaftszweige und Varianten von Wirtschaftsformen, gerade in mittlerer Größe, verschwinden von der Bildfläche. Damit ist, evolutionstechnisch gesprochen, das Fließgleichgewicht zwischen den Arten außer Kraft gesetzt. Es kommt zum großen Artensterben, weil die Zulieferer pleite oder die Märkte ausgelutscht sind. Das ganze System kollabiert. In der Evolutionssprache nennt man das die »regulierende Katastrophe«:
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