Unternehmen Wahnsinn
eine ruckartige Anpassung, nachdem das evolutionäre Spiel unterbrochen wurde, um ein verloren gegangenes Gleichgewicht wieder herzustellen.
Es ist einfältig zu denken, dass Größe allein je genügen könnte und das Kleine nicht bräuchte. Oder das Mittlere. Oder das Andere. Gerade um des eigenen Überlebens willen. Und alles wird ungesund einförmig, wenn mit der zeitgenössischen Vereinheitlichung aufgrund der Monopolkapitalismen immer mehr Unterschiede, Denkweisen, Kulturen, Sprachen verloren gehen – und auch als kulturelle Ressourcen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Vorsicht vor Bluffbegriffen
Mit der gängigen, aber sehr unscharfen Diagnose »Globalisierung« wird alles und jedes begründet – oder gleichermaßen verteufelt. Dabei gilt es zu differenzieren: Das Problematische an der Globalisierung ist nicht die Internationalisierung des Handels – die ist zu begrüßen und es gibt sie seit der Antike –, sondern die Konzentration von Macht und Kapital auf Wenige und Große. Es mangelt schlicht an lebensnotwendiger (Arten- und Perspektiven-) Vielfalt.
Changeprozesse – umfassende Reorganisationen – gelten als das ultimative Rezept für eine Organisation, um den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen. Das Zauberwort »Change« suggeriert Veränderungs- und Lernbereitschaft und soll Effizienz, Flexibilität und Synergien steigern. Tatsächlich ist der Begriff aber bis zur Unkenntlichkeit verdorben, und Changeprozesse erweisen sich gern auch als Gegenteil dessen, für das sie sich ausgeben: statt Lernen, Bewegung, Effizienz zementieren sie das Recht des Stärkeren, erzeugen Beharrung und Gewalt.
Mehrwert und Wachstum bleiben im Globalisierungs- und Changewahn oft auf der Strecke: Statt Mehrwert zu generie-
ren, erhöhen sich die Kosten. Statt Wachstum erleben wir Artensterben.
27 John P. Kotter: Leading Change . Harvard Business School Press 1996.
28 Daniel Goeudevert: Das Seerosen-Prinzip . DuMont 2008. Harald Schumann/ Christian Grefe: Der globale Countdown. Die Zukunft der Globalisierung . Kiepenhauer & Witsch 2008. Meinhard Miegel: Exit. Wohlstand ohne Wachstum . Propyläen 2010. U. a. m.
Diagnose 5: Bei Komplexität hilft denken, nicht glauben
Untersucht werden u.a.: die Allzweckdiagnose Komplexität, der Magiedrift, Liturgiewahn sowie der Unterschied zwischen »confidence« und »trust«.
Das Ende der Kalkulierbarkeit ist allüberall. Neben der »Beschleunigung« ist die »Komplexität« der Begriffsliebling zur Charakterisierung der modernen Wirklichkeit. Und ihre noch speziellere Begriffsschwester Dynaxität – die Kombination von Dynamik und Komplexität – wird als zentrale Ursache für die speziellen Zumutungen im Arbeitsleben beschrieben: Informationsflut, unendlich viele Verknüpfungen, Unübersichtlichkeit etc. Was aber steckt hinter der Allzweckdiagnose Komplexität?
Man trifft auf sie in Systemen mit vielfach verknüpften Einzelteilen und entsprechend unkalkulierbaren Wechselwirkungen. Das Ökosystem ist so ein sich selbst regulierendes System, dessen Vielzahl der ablaufenden Prozesse sich nicht in triviale Wenn-Dann-Folgen pressen lässt. Mit Hilfe des »systemischen Denkens« versucht man, diese komplexen Gebilde zu verstehen – und grenzt sich damit scharf vom linear-mechanistischen Weltbild ab.
Lebendige Systeme – dazu zählen neben Öko- auch alle sozio-technischen Systeme wie zum Beispiel Unternehmen – funktionieren eben nicht nur nach der mechanischen Logik. Konkret: Ein für Laien schon recht kompliziert anmutendes Fernsehgerät kann ein Techniker komplett auseinandernehmen, analysieren und wieder zusammenbauen. Es ist auf eine bestimmte Weise vollständig erfassbar, quantifizierbar und auch prognostizierbar. Beim Verschieben des Lautstärkereglers passiert immer dasselbe (wenn–dann). Im Ökosystem oder in der Weltwirtschaft oder in persönlichen Beziehungen gibt es diese einfachen Regler und Regeln nicht. Dort sind nie alle Informationen in Gänze vorhanden. Jeder Analyseversuch verändert die Ausgangssituation und damit das System. Vor allem aber ist direkte Steuerung nicht möglich. Während der An-/Ausschalter bei einer Maschine zuverlässig funktioniert, sucht man zum Beispiel einen Motivationsschalter bei der Mitarbeiterschaft vergebens. Lebendige komplexe Systeme sind prinzipiell also schwer bis gar nicht kalkulierbar; allenfalls ihren Kontext kann man beeinflussen.
Deshalb werden die Systemiker und Organisationsentwickler auch nicht müde zu
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