Unterwegs im Namen des Herrn
eine Kopfschmerztablette in den Mund schiebe. Der Reiseleiter steckt das Mikrophon zurück in die Halterung, schaut mich aus seinen zusammengekniffenen Augen kurz von der Seite an und setzt sich. Im Bus ist es ruhig, seine Geschichte hat Eindruck gemacht.
In mir drinnen ist es allerdings gar nicht ruhig, ich frage mich, wie ich dieses Problem lösen könnte. Um 23 Uhr soll Zapfenstreich sein? Habe ich einen Knastaufenthalt gebuchtoder eine Pilgerreise? Ich drehe mich wieder nach hinten. Auch Ingo sieht aus, als würde er jeden Moment etwas Unüberlegtes sagen.
Wir halten bei Tiberias. Der Italiener bedankt sich und läuft los Richtung Zentrum. Unser Reiseleiter begrüßt den Besitzer des Ladens, und wir werden zum Einkaufen geschickt.
Im Shop entdecken Ingo und ich einen kleinen Handspiegel mit der Aufschrift: Jesus liebt dich wie du bist! Ich kaufe fünf Stück als Mitbringsel für Freunde, die Kuriositäten zu schätzen wissen. Auch ein paar Kalender mit einschüchternden Heiligenbildern lasse ich mir einpacken. Danach melde ich mich bei Rudi ab, weil ich den Rest der Strecke lieber zu Fuß gehen möchte. Er ruft mir hinterher, dass es um halb zwei Mittagessen gibt. Es ist halb eins.
Ich gehe, ohne mich umzudrehen. Ich höre Ingos Stimme. Es ist so heiß, dass ich zu laufen beginne, um so schnell wie möglich in den Schatten zu gelangen. Magere Katzen liegen unter Autos, Kinder ducken sich unter Sonnenschirme, Souvenirverkäufer zeigen sich nicht an ihren Ständen, nur barhäuptige Pilger mit energischen Bärten und hässlichen Handtaschen gehen unbeirrt ihres Weges.
Ich setze mich ins Restoran Pivnica. Der nette Kellner bringt mir eine Flasche Wasser und ein paar Servietten, mit denen ich mir den verschwitzten Oberkörper trocken wische. Ingo trudelt erst nach einer Weile ein, er hat Fotos gemacht. Er bestellt sich Wasser und Kaffee. Minutenlang sagt niemand etwas. Plötzlich bricht es aus ihm heraus:
»Die sind ja gestört! Um elf müsst ihr im Hotel sein! Was geht bitte in diesen Leuten vor? Was denken die sich? Sind wir kleine Kinder, oder was? Wieso hat da nicht einfach jedereinen Schlüssel und fertig? Ich will einen! Ich will einen Schlüssel!«
»Wir kriegen einen«, sage ich.
»Wie willst du das machen?«
»Die haben sicher nicht nur einen. Es muss einen Reserveschlüssel geben. Irgendwas muss es geben. Wir werden einen Schlüssel kriegen.«
» WAS IST EIGENTLICH, WENN ES BRENNT ?«
Wir kommen um Viertel vor zwei zum Hotel. Von Rudi, der etwas am Bus erledigen muss, erfahren wir, dass das Essen für uns im Keller serviert wird. Wir gehen hinunter, wo eine lange Tafel für uns vorbereitet ist und bis auf Rudi und den Reiseleiter und die Fundamentalistinnen schon alle versammelt sind. Auf den Tischen mit den rotkarierten Tüchern stehen auch hier Krüge mit Wasser und Wein.
Kaum haben wir uns hingesetzt, trägt eine abgekämpfte Kellnerin die Schüsseln herein. Der Kappenmann winkt sie zu sich und bestellt ein kleines Bier. Eigentlich hätte ich auch gern eines, doch ich bin plötzlich so matt, dass ich den Mund nicht aufbringe.
Ingo teilt die Suppe aus. Der Liliputaner neben ihm hat sich schon vorher genommen und will gerade zu essen beginnen, als ich auf das Fehlen des Reiseleiters hinweise und mich erkundige, wer denn nun das Tischgebet sprechen wird. Der Liliputaner lässt den Löffel fallen, wird rot und schaut ängstlich in die Runde. Auch sonst traut sich nun niemand mehr zu essen. Die meisten schweigen, einige sprechen mit gedämpfter Stimme, während die Teller vor ihnen dampfen. Schließlich fange ich zu essen an, und nun legen auch die anderen los.
Neben mir sitzt die intelligente Frau. Wir unterhalten uns über Cenacolo, dessen Struktur und Grundsätze sie problematisch findet. Dass Süchtige keine medizinische Unterstützung bekommen, hält sie für verantwortungslos. Sie erzählt, sie sei Psychiaterin, und da wundere ich mich doch, warum sie hier ist. Sie sagt, sie hätte einfach das Gefühl gehabt, sie sei in ihrem Leben an einem toten Punkt angelangt, und dass sie deshalb etwas völlig anderes ausprobieren wollte. Tja, einmal entgleist jedes Leben, es fragt sich nur, wann.
Zum Hauptgang – Massen von Fleisch – erscheint der Reiseleiter.
»Habts bettet?«
Er bekommt keine Antwort. Diejenigen, die in seiner Nähe sitzen, schauen in die entgegengesetzte Richtung. Da und dort schütteln manche schuldbewusst den Kopf, wie Schüler, die vom Lehrer beim Schummeln erwischt
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