Unterwegs im Namen des Herrn
mithören kann, weil mein Vater eine laute Stimme hat.
»Du verbreitest hier eine ziemliche Unruhe«, sage ich zu Ingo.
»Mit wem redest du?«, fragt mein Vater.
»Mit Ingo!«
»Ach so.«
»Du, wenn es dir zu weit ist, können wir ein Taxi nehmen. Ich dache nur, weil du …«
»Nein! Nein, ich freue mich, wenn wir uns sehen! Ich komme natürlich! Aber was macht ihr in Split?«
»Übernachten. Bei Tomy. Oder woanders. Du kennst Tomy. Der Wirt. Mein Stammlokal. Den Sommer verbringt er jedes Jahr in Split. Hat eine schöne große Wohnung da.«
»Hast du getrunken? Du sprichst so …«
»Holst du uns jetzt ab oder nicht?«, rufe ich.
»Klar! Aber wieso kommst du nicht her?«
»Weil es nicht geht! Was soll ich in Mostar, ich will nach Wien!«
»Ihr könnt in Split bei Ivica schlafen.«
»Wir schlafen bei Tomy, oder wir nehmen ein Hotel.«
»Ich bringe euch zu Ivica! Ein alter Freund! Er freut sich, er will dich schon lange kennenlernen!«
»Aber was habe denn ich davon?«
»Ihm gehören drei Tankstellen, weißt du.«
Ich weiß nicht, wieso ich Ja sage. Die Hitze, der Alkohol, das wirre Telefongespräch, die Müdigkeit – ich sage Ja, er soll Ivica Bescheid geben, als Ersatzquartier, falls es mit Tomy nicht klappt. Wir vereinbaren 16 Uhr, Restoran Pivnica.
Als Ingo hört, dass wir ein Taxi und ein Hotel haben, schlägt er vor, noch einen Spaziergang zu unternehmen. Ich erinnere ihn daran, wann mein Wecker heute Nacht läuten wird und dass er jetzt ja zusammen mit mir aufstehen will. Das ernüchtert ihn einigermaßen, denn es ist schon nach zehn. Wir zahlen, und ich ziehe ihn durch die schwüle Nachtluft Richtung Restoran Pivnica.
Mein Kellnerfreund stellt sofort Schnaps auf den Tisch und bringt mir wie üblich Servietten. Ich wische mir den Schweiß ab, der überall an mir klebt. Ich habe leichte Herzrhythmusstörungen, was mir aber wegen der zwei Xanor egal ist, nach zwei Xanor ist mir meistens alles egal, so kann ich trotz Flugangst auch in eine Aeroflot-Maschine einsteigen.
Wir nehmen beide noch ein Bier. Der Postbote und der Liliputaner kommen vorbei, grüßen und gehen weiter. Der Reiseleiter kommt vorbei, nickt kaum merklich und wackelt Richtung Hotel. Auch Jim den Amerikaner und die Fundamentalistinnen glaube ich in der Menge auszumachen, sonst sehe ich keine Bekannten, was nicht viel bedeutenmuss, denn bis auf wenige Ausnahmen besteht unsere Pilgergruppe aus Gesichtern, die man sofort wieder vergisst. Man kann sie stundenlang betrachten und wird sich fünf Minuten später nicht mehr an sie erinnern.
Der Tennislehrer und die intelligente Psychiaterin setzen sich zu uns. Er berichtet, er hätte bei der Messe mehrere Fälle von religiöser Ekstase beobachtet.
»Mit der haben wir daunn no klass diskutiert!«
Ich habe keine Ahnung, wovon er redet. Das sieht er mir offenbar an, also fügt er hinzu:
»Mit der Konservativn! Vom Vurtrog! Zerst hob i gedacht, des is ois a Schaas, owa sie hot super diskutiert mit uns!«
Mein Kopf platzt gleich. Die Schmerztabletten habe ich im Hotel gelassen. Ich trinke das Bier in einem Zug aus und bestelle noch eins. Der Tennislehrer erzählt, die Behinderte aus unserer Gruppe sei bei der Messe von der Bank gekippt, und die Frau, die im Bus Äpfel und Postkarten verteilt hat, sei von einem Weinkrampf geschüttelt worden. Ich nicke, und er erzählt noch ganz andere Sachen, aber ich kriege nichts mehr mit.
Ingo beginnt mit der intelligenten Psychiaterin ein Gespräch, dessen Zeuge ich nicht werde, weil mir für einige Minuten buchstäblich das Licht ausgeht. Nach einer Weile schrecke ich hoch. Der Tennislehrer hat eine Runde Sliwowitz bestellt. Mir ist nicht wirklich danach, aber in diesem Zustand kann man mir alles hinstellen, und ich werde es trinken.
Jeder zahlt noch eine Runde, danach brechen wir auf. Es ist halb zwölf. Mit einem Gefühl von Genugtuung ziehe ich den Schlüssel aus der Tasche, doch die Hoteltür istoffen. Der Hotelchef sitzt an seinem Schreibtisch, schlägt mit einer Klatsche nach irgendeinem Insekt und winkt uns schläfrig zu.
Ich bitte den Tennislehrer, morgen an unsere Tür zu klopfen, für den Fall, dass ich den Wecker überhören sollte. Er verspricht es, und bei der Gelegenheit fällt Ingo ein, dass er doch nicht mit auf den Berg gehen will.
»Aha? Du kneifst die ganze Zeit!«
»Ich kneife nicht, ich schlafe mich aus.«
Zähneputzen, Wecker stellen, Licht abdrehen. Ich weiß, ich muss in drei Stunden aufstehen. Ich bin unglaublich
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