Unterwegs im Namen des Herrn
müde. Ich habe einen aufgekratzten, lachenden Hundertkiloriesen neben mir. Wer könnte da schlafen? Ich, aber erst nach einer Weile. Und als der Wecker läutet, habe ich den Eindruck, ich hätte kein Auge zugemacht.
Eine Laterne leuchtet in unser Fenster. Ich setze mich auf. Ingo bekommt einen solchen Lachanfall, dass das Bett kracht.
»Du schnarchst, etwas Ärgeres habe ich noch nie erlebt! Das klingt wie eine Mischung aus Wirtshausschreierei und Asphaltaufreißmaschine! Ich habe NULL geschlafen!«
Allmählich wird mir klar, warum ich mich so grauenhaft fühle. Es ist gar nicht der Kater, es sind die Halsschmerzen. Jemand scheint mich erwürgen zu wollen, und wenn ich schlucke, sticht mir dieser Jemand auch noch mit einem Dolch in den Hals, so dass mir die Tränen kommen und ich schreien könnte. So krank habe ich mich schon lange nicht gefühlt. Das ist Angina. Nein, das ist nicht Angina, das ist die Mutter aller Anginas. Ich habe schon oft Angina gehabt, aber diese schlägt alles.
»Willst du da jetzt wirklich raufgehen?«, fragt Ingo, als ich mich aus dem Bett rolle.
»Du kannst ja sonst nicht schlafen«, sage ich undeutlich, weil das Reden so schmerzt.
»Sehr gut, nur kein Zögern, und viel Vergnügen.«
Unter einigen Mühen ziehe ich mich an und lasse Ingos schadenfrohes Gelächter auf mich wirken. Beim Zähneputzen schalte ich das Licht im Bad nicht ein. Meine Lymphknoten am Hals und hinter den Ohren sind so groß wie Tischtennisbälle. Das war diese Hexe. Das war Annalinda Antilopa. Das ist Gospas Rache.
Die Schmerzen sind unfassbar, sie scheinen von Minute zu Minute stärker zu werden. Mineralwasser finde ich keines, ich mache ein Bier auf und spüle damit eine Parkemed runter. Ingo erzählt mir irgendeine launige Geschichte darüber, was ich im Schlaf geredet hätte. Ich kann nur Hm, hm brummen. Ich befühle meine Stirn, mindestens 39 Grad Fieber. Nein, vorbei. Die Gospa hat gesprochen: Sie will mich nicht auf ihrem Berg. Ich verstehe. Und denke mir in diesem Moment: ›Komisch, immer wenn ich etwas empfänglicher werde für eine Stimme aus dem Himmel, bekomme ich einen Eimer Jauche über den Kopf.‹
Ich ziehe mich wieder aus und lege mich ins Bett.
»Jetzt gehst du doch nicht?«
»Nö.«
An der Tür klopft es. Ich reagiere nicht. Das Klopfen wird lauter. Wütend und unter Qualen schreie ich: »Ich war schon auf dem Berg!« Das Klopfen hört auf, ohne dass wir eine Stimme vernommen hätten.
Ich bin völlig k. o., aber an Schlaf ist bei den Schmerzen nicht zu denken. Ich halte mich nicht für wehleidig, dochdas hier übersteigt alles, so eine Angina habe ich überhaupt noch nie gesehen. Es hilft nichts, ich nehme gleich noch eine Parkemed und eine Schlaftablette, denn sonst liege ich die ganze Nacht wach.
Ingo redet vor sich hin, er spricht über den Reiseleiter, Jim den Amerikaner, Intschu-Tschuna, den Tennislehrer. Ich sinke in einen Dämmerschlaf, in dem ich irgendwann die Schmerzen nur noch als eine hintergründige Bedrohung wahrnehme. Etwa gegen halb fünf nimmt dieser weniger unangenehme Zustand ein Ende, denn da beginnt Ingo zu schnarchen, was sich bei weitem entsetzlicher anhört als eine Asphaltaufreißmaschine. Obwohl ich Schüttelfrost habe, gelingt es mir dennoch, immer wieder einzudösen, bis sieben, dann nehme ich eine Mexalen gegen das Fieber und eine Xanor, damit mir mein Zustand ein wenig mehr egal ist. Ich schicke meiner Frau per SMS ein Update, die Angina erwähne ich nicht.
Ingo hört um acht zu schnarchen auf. Er grunzt einen Morgengruß und schreibt eine SMS an Tanja. Zitternd gehe ich duschen. Danach schlage ich Frühstück vor, denn ich habe die vage Hoffnung, dass die Halsschmerzen nachlassen könnten, wenn ich etwas esse.
»Ich komme nach. Was steht heute auf dem Programm? Nicht dass es mich interessieren würde.« Er hüpft aus dem Bett und geht zum Fenster. »Ah, sieh an, sie sind zurück.«
Es stimmt, gerade hält der Bus vor dem Hotel. Ich habe zwar nicht die geringste Lust, denen in meinem Zustand über den Weg zu laufen, aber ich muss sofort etwas Festes schlucken, um dieses fürchterliche Stechen in meinem Hals zu lindern. Wortlos winke ich Ingo zu und bin draußen.
Vor dem Hotel entgehe ich mit knapper Not der alten Fundamentalistin. Ich biege scharf nach rechts ab und sitze keine zwei Minuten später im Restoran Pivnica. Mein Kellner hat offenbar Dauerdienst. Er umarmt mich und fragt scherzhaft, ob ich gern einen Schnaps hätte. Als ich Rührei,
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