Unterwegs im Namen des Herrn

Kaffee, Mineralwasser und Bier bestelle, fragt er zweimal nach.
    Rührei kommt, Kaffee kommt, Mineralwasser kommt, Bier kommt. Mein Herz rumpelt wild. Ich nehme noch eine Xanor und fange an zu essen. Das geht wegen der Schmerzen beim Schlucken nicht schnell, außerdem bin ich durch das Fieber so matt, dass ich die Gabel zum Mund führe wie in Trance.
    Der Kellnerfreund versucht ein Gespräch anzufangen, doch zu mehr als Nicken und Kopfschütteln bin ich nicht imstande. Abgesehen davon habe ich ja den Fehler begangen, ihm meine paar Brocken Kroatisch hinzuwerfen, und seither will er nicht wahrhaben, dass ich seine Sprache nicht wirklich beherrsche. Er redet auf mich ein, und ich verstehe kein Wort, ich habe bloß Fieber und Kopfweh und eine Monsterangina im Hals, die mir die Klimaanlage der Gospakriegerin geschickt hat.
    Als Ingo seine Fototasche neben dem Tisch abstellt, bin ich mit dem Essen fertig und bestelle gerade das zweite Bier. Der Kellner fragt, ob Ingo auch eines will, doch der nimmt zunächst nur Omelette und Kaffee und beginnt sofort, eine Geschichte über den Kappenmann zu erzählen, dem er gerade im Treppenhaus begegnet ist.
    »Der alte Mann ist zum dreißigsten Mal hier«, sagt er, holt sich ein Brot aus meinem Gebäckkorb und beißt krachend hinein. »Dreißigmal ist er schon mit ihm hier gewesen,und jedes Mal, wenn er mit dem Reiseleiter ein paar Worte reden will, schaut der entweder woanders hin oder geht weg oder hört nicht zu. Der könnte den alten Mann ja auch anders behandeln!«
    Ingo wippt mit dem Stuhl, zuckt mit den riesigen Füßen, lässt eine Münze über den Tisch rollen, zieht wild an seiner Zigarette, redet, redet, redet.
    Mein drittes Bier ist jenes, das zusammen mit den Xanor das unangenehme Fiebergefühl in einen milden Rausch verwandelt, so dass ich endlich wieder das Gesicht der Sonne zuwenden kann. Ingo isst, bestellt sich auch ein Bier, springt von einem Thema zum anderen.
    Es wird zehn, es wird halb elf. Menschen strömen zur Messe herbei. Um elf, als die Messe über Lautsprecher den Platz vor der Kirche wie auch die Terrasse des Restorans beschallt, sitze ich beim fünften Bier. Es hat 39 Grad, draußen und in mir. Aus dem Lautsprecher ertönt Gesang. Die wenigen Menschen auf der Terrasse sprechen mit gedämpfter Stimme. Unter Ingos Auge zuckt es.
    Wir schweigen. Ingo hat sich müde geredet. Es gibt auch nicht viel zu sagen. Die hohe Stimme aus dem Lautsprecher erdrückt alles. Die Stimme singt: »Gesuuuu, tu sei la paaaaceee.« Sie singt diesen Satz wieder und wieder. Der Satz ist einfach, die Melodie ist einfach, und die Stimme, sie klingt so dumm. Wenn eine Stimme dumm sein kann, dann ist es diese. Die dümmste Stimme der Welt singt: Jesus, du bist der Friede. Jesus, du bist der Friede. Jesus, du bist der Friede. Jesus, du bist der Friede. Jesus, du bist der Friede.
    Ich bestelle, mache den sechsten Strich auf meinem Bierdeckel und greife absichtslos in meine Hosentasche. Ich fördere einen Kalender zutage, den ich vom Reiseleiterzusammen mit der Anmeldung erhalten und wohl einfach eingesteckt habe. Er enthält ein Foto des omnipräsenten Pater Slavko. Auf der anderen Seite steht:
     
    »DIE STIMME DER KÖNIGIN DES FRIEDENS«
    VOM 24.   11.   2000 VON PATER SLAVKO BARBARIC
    Gebet: Herr allmächtiger Schöpfer Gott, du Schöpfer des Himmels und der Erde, Schöpfer unseres Lebens. Im Namen Deines Sohnes Jesus Christus, des Königs, mit Maria der Königin des Friedens, bitten wir Dich, befreie unser Herz von all dem was Dich stört, dass Du an erster Stelle in unserem Leben bist. Wir entsagen allen Egoismus und jedem Huldigen der eigenen Person, der Tat der Unterjochung, dem falschen Verhältnis zu anderen. Wir entsagen allem was Dich stört, Vater, dass Du mit Deinem Sohn Jesus Christus, durch den Heiligen Geist die erste Stelle in unserem Leben einnimmst. Wir legen Dir alle dar, die in die Irre gegangen sind, oder gefangen von anderen Menschen oder materiellen Dingen. Befreie Sie Herr, dass auch Sie, als Deine Kinder in Freiheit leben können und ein richtiges Verhältnis zu sich und zu anderen schaffen können. Wir bitten Dich für alle Christen, die sich mit den Namen Christen nennen, aber nicht leben, den Weg nicht folgen, den Du ihnen gezeigt hast, in Deinem Sohn Jesus Christus. Segne alle Verantwortlichen in der Kirche und in der Welt, dass Sie Ihre Stellung, Ihre Herrschaft und Macht verantwortlich leben im Lichte Christi der unser König ist und mit Dir lebt und