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Unterwegs in der Weltgeschichte

Unterwegs in der Weltgeschichte

Titel: Unterwegs in der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Christian Huf
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französischen Gesellschaft zu Beratungen zusammengekommen waren. Nun erhofft sich Ludwig durch die Neubelebung dieser Ständevertretung Rat und Hilfe. Das Problem freilich: Jeder Stand soll eine volle Stimme haben, so dass Adel und Klerus, pro Kopf gerechnet weit in der Minderheit, jederzeit den Dritten Stand bei Reformplänen überstimmen können. Immer wieder kommt daher die Forderung auf, nicht nach Ständen, sondern nach Köpfen abzustimmen, aber der König kann sich zu einer so innovativen Wahlreform nicht durchringen. Zudem tagen die Vertreter der Stände getrennt. Eine gemeinsame Meinungsbildung findet nicht statt.
    Ein Vertreter des niederen Adels, Abbé Sieyès, ist es schließlich, der am 17. Juni 1789 den Dritten Stand kurzerhand zur Nation erklärt. Berühmt ist sein Flugblatt, das in Paris kursiert – »Was ist der Dritte Stand?« –, vor allem auch wegen seiner extrem prägnanten Werbewirkung: »Der Plan dieser Schrift ist ganz einfach«, schreibt Abbé Sieyès: »Wir legen nur drei Fragen vor: 1. Was ist der Dritte Stand? Alles. 2. Was ist er bis jetzt in der politischen Ordnung gewesen? Nichts. 3. Was verlangt er zu werden? Etwas. Der Dritte Stand ist eine vollständige Nation!«
    Das Volk jubelt. Der König verliert die Kontrolle. Als Soldaten den Zutritt zum Sitzungssaal des Dritten Standes behindern, weicht man erregt in das Versailler Ballhaus aus. Hier kommt es zum berühmten »Ballhausschwur«, bei dem die Abgeordneten schwören, erst dann auseinanderzugehen, wenn eine neue Verfassung beschlossen sei. Statt zu agieren, kann König Ludwig jetzt nur noch reagieren und gibt gezwungenermaßen die Order, alle Stände mögen sich zur verfassunggebenden Nationalversammlung vereinen. Die Revolution hatte gesiegt.
    Mit dieser Entscheidung könnte das Kapitel glücklich beendet sein. Aber ein Dampfkessel, der recht lange befeuert wird, braucht viel Zeit, bis er erkaltet. Und vor allem muss der Dampf heraus. Die Idee des Neuen, des Revolutionären, entwickelt auf Menschen immer eine faszinierende Sogkraft, die plötzlich alles mitreißt, was gestern noch hoch und heilig war. Während die Nationalversammlung tagt, stürmt die aufgeregte Pariser Menge am 14. Juli 1789 das alte Symbol absolutistischer Herrschaft: die Bastille, das alte Staatsgefängnis. Und wenn es auch nur sieben Gefangene sind, die man dort findet und befreit, so ist dieser 14. Juli doch zum französischen Nationalfeiertag geworden, zum großen Symbol für die Revolution und die Übernahme der politischen Macht durch das Volk. Drei Tage später entsteht übrigens die Trikolore, die Flagge Frankreichs, als der König selbst nach Paris einfährt und als Zeichen seiner Zustimmung an seinem weißen Hut die blau-rote Pariser Kokarde trägt, jenes Schleifenband, das man im 17. Jahrhundert in Frankreich gerne am Hut trug, wenn man die Zugehörigkeit zu irgendeiner Gruppe zum Ausdruck bringen wollte.
    Die späte Zustimmung wird ihm aber nichts nützen, auch wenn die Menge ihm jetzt noch zujubelt. Überall im Land gerät das Revolutionsfeuer bald gänzlich außer Kontrolle. Die staatliche Ordnung befindet sich in Auflösung. Die Notwendigkeit eines Königs in der nunmehr konstitutionellen Monarchie wird immer fraglicher. Der Staatsbankrott treibt Teuerung und Arbeitslosigkeit ins Extrem, auch wenn jetzt, am 5. August, Adel und Klerus bereit sind, auf alle Privilegien zu verzichten.
    Beispielhaft dafür, wie schwer es ist, eine Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen, ist der Versuch der Nationalversammlung vom 10. Oktober: Auf Antrag des Bischofs Charles de Talleyrand (1754–1838) wird aller Kirchenbesitz staatlich eingezogen. Mit dem Verkauf der Besitztümer und Grundstücke will man zu dringend benötigtem Geld kommen, denn selbst die geringen Steuereinnahmen versiegen in den allgemeinen Wirren. Um die Immobilien konvertibel zu machen, wird Papiergeld gedruckt, dessen Wert durch den eingezogenen Kirchenbesitz gedeckt sein soll. So weit, so gut. Aber das plötzliche Überangebot an Grundstücken und Häusern lässt den Markt über Nacht zusammenbrechen. Die Preise stürzen in den Keller und mit ihnen der Wert der bunten Papierfetzen, die man Geld nennt. Eine ungebremste Inflation ist die Folge, die direkte Verwandte des Chaos.
    Der sehr fortschrittliche und in seinem Aufklärungswillen selbst

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