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Unterwegs in der Weltgeschichte

Unterwegs in der Weltgeschichte

Titel: Unterwegs in der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Christian Huf
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den für seine Forschungen so bedeutenden Galapagos-Inseln führte, »das bei Weitem bedeutendste Erlebnis in meinem Leben war«. In Wirklichkeit aber hatten die dabei gewonnenen Erkenntnisse noch viel größere Bedeutung.
    Für die Menschheit war es das vielleicht folgenschwerste Ereignis des 19. Jahrhunderts. Denn Darwins Entdeckung, dass die Entwicklung aller lebendigen Wesen auf natürlichen Einflüssen beruhe und nicht auf einem einmaligen Schöpfungsakt Gottes, schlug wie eine Bombe in alle Bereiche der damaligen Gesellschaft ein. Hatte man bisher den biblischen Schöpfungsbericht weitgehend als verbindliche Dokumentation der Welt-, Tier- und Menschwerdung akzeptiert, so kamen mit Darwins wissenschaftlich-peniblen Beobachtungen die großen alten Wahrheiten ins Wanken. Dass es eine gemeinsame Abstammung und damit einen biologischen Zusammenhang zwischen allen Lebewesen gebe, war für die meisten Menschen des 19. Jahrhunderts ganz unglaublich. Und dass Gott die unterschiedlichen Lebewesen nicht mit einem einzigen himmlischen Paukenschlag geschaffen habe, sondern dass ihre Entwicklung sich durch kleinste graduelle Veränderungen vollziehe und als ein andauernder, dynamischer Prozess zu verstehen sei, stieß auf energisches Kopfschütteln. Dass die natürliche Auslese dabei der bedeutendste Mechanismus der Evolution sei – diese Vorstellung erschreckte die Gemüter und stellte den Willen Gottes in Zweifel. Und dass gar eine nahe Verwandtschaft des Menschen mit dem Affen bestehe, entsetzte oder belustigte die Öffentlichkeit.
    Sigmund Freud hat ein halbes Jahrhundert später in Hinblick auf Darwins Entdeckung von einer gewaltigen »Kränkung der menschlichen Eigenliebe« gesprochen, dadurch ausgelöst, dass »die biologische Forschung das angebliche Schöpfungsvorrecht des Menschen zunichtemachte, ihn auf die Abstammung aus dem Tierreich und die Untilgbarkeit seiner animalischen Natur verwies«. In der Tat: Fast kein Bereich des menschlichen Lebens blieb davon unberührt, dass Darwin das Woher unserer Existenz unter Auslassung der Religion entschlüsselte. Nicht nur das Menschenbild wurde in dieser Sternstunde der Wissenschaft völlig verändert, sondern auch unsere Sicht auf die Welt, auf das Tierreich, auf die ökologischen Zusammenhänge. Die Verantwortung für alles Leben wurde von hier aus auf eine ganz neue Grundlage gestellt und der Mensch erneut ein Stück weiter aus dem Zentrum der Welt herausgerückt.
    Um es sportiv auszudrücken: Wie einen jener siegesgewissen Radfahrer, die bei den berüchtigten Bergetappen der Tour de France über lange Zeit einsam die Spitze bilden, dann aber kurz vor dem Ziel vom Hauptfeld eingefangen und wieder verschluckt werden, holte Darwin den Menschen vom Podest der Schöpfung und schickte ihn zwecks Wiedereingliederung zurück in den Zoo. Die Sonderstellung des Homo sapiens war dahin.
    Während Darwin ein Erdbeben auslöste, sind viele andere Wissenschaftler dieses Jahrhunderts am starrköpfigen Beharrungsvermögen ihrer Epoche geradezu zerbrochen. Es sei hier nur exemplarisch an den Wiener Arzt Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865) erinnert, der mit der Erfindung der Hygiene (zur Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten) die wohl effektivste medizinische Maßnahme aller Zeiten anstieß, aber von den Standeskollegen verlacht wurde und in geistiger Umnachtung starb. Im Gegensatz dazu wurde die Bedeutung Darwins am Ende seines Lebens von seinen Zeitgenossen weitgehend anerkannt. Man bestattete den 73-Jährigen am 26. April 1882 in der Londoner Westminster Abbey zu Füßen jenes Monuments, das dem bis dahin größten Naturwissenschaftler galt: Sir Isaac Newton.
    Welche Bedeutung haben im Vergleich zu solchen Neujustierungen der Welt schon politische Taten und Verträge? Oder gar Schlachten, selbst wenn, wie im Oktober 1813 bei Leipzig, ganze »Völker« aufeinanderprallen? Haben sich territoriale Grenzziehungen jemals als so dauerhaft erwiesen wie große Gedanken und fundamentale Erkenntnisse? Wenn der Grieche Heraklit († um 460 v. Chr.) behauptet, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei, dann erweist er sich als einer der Vorläufer von Darwin und seiner Lehre vom »Kampf ums Dasein«, mit dem der große Forscher den britischen Kolonialismus rechtfertigte.
    Der 1,67 Meter kleine Zeitgenosse, der bei seiner Karriereplanung an der Wende zum 19.

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