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Unterwegs in der Weltgeschichte

Unterwegs in der Weltgeschichte

Titel: Unterwegs in der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Christian Huf
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Gleichzeitigkeit sich in der jüngeren Geschichte wieder zurückmeldet. Wenn es sich nur nicht diesmal um das genaue Gegenteil kultureller Leistungen handeln würde, nämlich um ein gemeinsames Krankheitssymptom mit fatalen Folgen: das Herrschaftsgebaren, den Expansionsdrang und die Eroberungspolitik der Großmächte zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts.
    Wenn Sie im Theater aufstehen, können Sie besser sehen. Wenn im Theater aber alle aufstehen, kann niemand mehr sehen. Und dann kommt es schnell zum Streit. Ganz ähnlich geht es auch am Beginn des 20. Jahrhunderts zu im großen europäischen Welttheater: Bei allen Völkern Europas hat sich jetzt der Nationalstaatsgedanke durchgesetzt. Das Streben nach Macht und Bedeutung auf der politischen Bühne wird zur Selbstverständlichkeit. War es zuvor vor allem England gewesen, das als British Empire seine Flügel weltweit und ungemein erfolgreich ausspannte, so beginnen nun auch alle anderen Nationen hemmungslos ihr übersteigertes Nationalgefühl über den gesamten Globus zu stülpen. In der Maske weltmissionarischer Beglückung kommt diese Politik daher, bedeutet aber in Wirklichkeit die brutale Ausbeutung der kolonialisierten Völker. Da werden vollmundige Sätze gesprochen, die Mord und Raffgier als Gutmensch-Tat verbrämen. Eine kleine Auswahl zum Erschrecken:
    Â»Ich behaupte, dass es umso besser für die menschliche Rasse ist, je mehr wir von der Welt bewohnen … Gott hat offenkundig das englisch sprechende Volk zu seinem auserwählten Werkzeug geformt …« (Cecil Rhodes, englischer Kolonialpolitiker)
    Â»Die französische Ausdehnung hat zu allen Zeiten zivilisatorischen und religiös-missionarischen Charakter. Es handelt sich darum, unsere Sprache, unsere Sitten, unser Ideal inmitten der Konkurrenz der anderen Rassen zu schützen.« (Gabriel Hanotaux, französischer Außenminister und Historiker)
    Â»Wir wollen die Finsternis durchstoßen, die ganze Völker umhüllt: Das ist ein würdiger Kreuzzug …« (Leopold II. , belgischer König)
    Â»Wir denken noch an etwas Höheres, an unsere Religion und die Verteidigung und den Schutz unserer Brüder in den Kolonien, welche zum Teil mit ihrem Leben für ihren Heiland eingetreten sind.« (Wilhelm II., deutscher Kaiser)
    Â»Jedes große Volk, das lange leben will, glaubt und muss glauben, dass … nur in ihm allein das Heil der Welt ruhe.« (Fjodor Dostojewski, russischer Schriftsteller)
    Mit dem Wort Imperialismus hat man später diese Politik beschrieben, durchaus mit Bezug auf das antike Imperium Romanum , das auch seine eroberten Länder wirtschaftlich beglückte und dabei das gute Gewissen hatte, eine Schicksalsmission zu erfüllen.
    Ein vorausschauender Politiker wie der deutsche Kanzler Fürst Otto von Bismarck (1815 –1898) hat früh die Gefahr erkannt, die von Kolonialbesitz ausgeht. Er ahnte, dass der machtgierige Zugriff auf überseeische Besitztümer über kurz oder lang das fein austarierte Machtgefüge der europäischen Staaten aus dem Lot bringen musste. Bismarck, dessen ganze Politik darauf gerichtet war, die nationalen Gewichte in Europa auf dem Stand von 1871 auszubalancieren, vermied ein allzu großes Engagement Deutschlands bei diesem Wettlauf der Nationen, ohne sich letztlich dem Zeitgeist völlig entziehen zu können. Spätestens der renommiersüchtige, prestigeliebende Kaiser Wilhelm II. entwand sich in dieser Sache gänzlich seinem ungeliebten und dann auch schnell entlassenen Kanzler.
    So kam es, dass wieder einmal, wie so oft in der Weltgeschichte, eine böse Ironie am Ende einer wirtschaftlichen Erfolgsstory steht: Nach einer über vierzig Jahre währenden Phase des gigantischen Aufschwungs, der nicht zuletzt durch die Ausbeutung der Kolonien befeuert wird, zerbomben unsere ziemlich nahen Vorfahren ihren Wohlstand in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Der lange europäische Frieden und die wirtschaftlichen Errungenschaften, die das Resultat nationalen Eifers sind, fallen zuletzt eben diesem übersteigerten Eifer zum Opfer. Die machtgeile nationale Überheblichkeit mündet in zwei furchtbaren Feuerstürmen, die man auch als einen einzigen, modernen Dreißigjährigen Krieg verstehen könnte. Denn das tiefenpsychologische Motiv für das Grauen des Ersten wie des Zweiten Weltkriegs ist in beiden Fällen identisch: Es

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