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Unterwegs in der Weltgeschichte

Unterwegs in der Weltgeschichte

Titel: Unterwegs in der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Christian Huf
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auch als Geniestreich bezeichnet werden darf, die griechische Götterwelt dem Hades, dem Untergang, dem Vergessen entriss.
    Sein Name: nun selber fast vergessen, sein Buch: fast noch immer ein Bestseller. Während Schiller, Goethe und ihre Dichterkollegen die griechische Antike vor allem für die geistige Elite wiederentdeckten, brachte Gustav Schwab die klassische Erbschaft unters Volk , vor allem unters Jungvolk. 1838 erschien die erste Ausgabe seiner »Sagen des klassischen Altertums«, die seither von den Geschenktischen nachfolgender Konfirmandengenerationen nicht mehr wegzudenken waren.
    Was der Schwabe Schwab dem lesenden Publikum zurückschenkte, war weitgehend verschüttet und fast verloren. Zwar hatte Johann Heinrich Voß ein halbes Jahrhundert zuvor die Öffentlichkeit mit der Übersetzung von Homers »Odyssee« und »Ilias« beglückt, aber der Gesamtkosmos der griechischen Mythologie war nur noch bruchstückhaft zugänglich und auf eine verwirrende Fülle von Quellen verstreut.
    Schwabs mühselige Mosaikarbeit machte es nicht nur möglich, bestimmte Sagen, Sagenkomplexe und ganze Sagenzyklen endlich vollständig und im Zusammenhang zu lesen. Sie brachte auch den geografisch-historischen Raum, in dem die zeitlos-ewigen Helden ihre Einmischung in irdische Angelegenheiten betrieben, eindrucksvoll in Erinnerung: das Mittelmeer, die mythische und die sehr reale Ursprungslandschaft der europäischen Kultur.
    Den mediterranen Himmel über sich, die Sagen des Altertums im Kopf und im Koffer, folgte Ende des 19. Jahrhunderts der englische Archäologe Arthur Evans der Spur einiger Schmucksteine, die er in Athen erworben hatte und deren Gravuren ihn schließlich nach Kreta führten.
    In grauer geologischer Vorzeit, vor mehr als zehn Millionen Jahren, hatte sich die Insel vom Festland gelöst. In mythischer Frühzeit soll dann der liebestrunkene Supergott Zeus – in Gestalt eines weißen Stiers – die schöne phönizische Königstochter Europa nach Kreta entführt und hier seinen Sohn, den legendären König Minos, gezeugt haben. Ihm zu Ehren hat Arthur Evans den Begriff der minoischen Kultur geprägt, wobei »Minos« eher ein Herrschertitel als ein Eigenname ist.
    Der britische Archäologe, der einen Teil seiner Ausbildung in Deutschland absolviert hatte, war ein glühender Verehrer Heinrich Schliemanns. Jetzt stand er dort, wo auch der Troja-Ausgräber noch kurz vor seinem Tod gestanden hatte: auf einem unscheinbaren Stück Land bei Knossos, das als Spekulationsobjekt allerdings hoch im Kurs stand, weil hier die Ruinen des archaischen Kreta vermutet wurden.
    Schliemann war die Zeit weggelaufen. Er hatte sich mit den Eigentümern nicht über den Preis des ominösen Grundstücks einigen können. Arthur Evans kam, kaufte und grub. Was er ab 1900 in Knossos freilegte, war kein Jahrhundert-, eher schon ein Jahrtausendfund. Seine Bedeutung ging über den monumentalen, freskengeschmückten Palast, den Evans besagtem König Minos zuordnete, weit hinaus.
    Was der Engländer entdeckt hatte und dann Stück für Stück ans Licht brachte, war nichts anderes als die erste genuin europäische Hochkultur. Wie eine verwunschene Fee tauchte sie nun unvermittelt aus dem Nebel der Geschichte auf, und keiner, der sich auf sie einließ, konnte sich ihrem Zauber entziehen. Europa, nun hochkulturgekrönt, gab sich berauscht. Und Evans wurde 1911 zum Ritter geschlagen. Das ermutigte ihn zu weiteren Grabungen, aber auch zu zweifelhaften Rekonstruktionen, die Knossos den Titel »Disneyland der Antike« eingebracht haben.
    Die Bilderwelt der minoischen Kultur schwelgt in Farben. Stillstand scheint tabu, alles ist in Bewegung, pulsierende Lebensfreude, wohin man sieht – von den kokett-ungezwungenen kretischen Frauen mit dem offenen Mieder bis zu springenden Delfinen, die eine Schiffsprozession begleiten, oder akrobatischen Turnübungen auf dem Rücken von Stieren, den dominierenden Kultobjekten auf der Insel.
    Den Göttern, die solche Lebensfreude ermöglichten, dankte man mit großen und reichen Opferritualen, heiligen Spielen und aufwendigen Inszenierungen an besonderen Orten, in Hainen, Kultstätten und Gipfelheiligtümern.
    Nimmt man die prachtvollen Villen und vor allem die säulengestützten, lichtdurchfluteten Paläste hinzu, die wie eine Stadt für sich die Bühne des politischen,

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