Unterwegs in der Weltgeschichte
Priester sowie einen Diener, der das mit dem Blut des Getöteten gefüllte Gefäà trug. In Knossos fand man zudem Kerb- und Schabspuren auf den Knochen von vier Kindern, die auf rituellen Kannibalismus hindeuten.
Es gibt sie also doch â und wen könnte das wundern? â: die andere, die dunkle Seite der minoischen Kultur.
Vielleicht wird sich ja auch der Griff des griechischen Festlands nach dem immer wieder aufblühenden minoischen Kreta einmal als nicht mehr so friedlich erweisen, wie er gern dargestellt wird. Denn dort sitzen die Achäer, die seit 2000 v. Chr. zusammen mit anderen indoeuropäischen Griechen auf die Halbinsel eingewandert waren und sich in Mykene niedergelassen haben. Sie sind Krieger, haben bereits seit Langem zur Insel hinübergeschielt. Und dass eine Kultur, die von einer anderen stark geformt und beeinflusst wurde, diese Leit- und Mutterkultur nun zu Fall bringt, hat schon a priori etwas Kannibalisches.
Vorerst aber gilt die These noch, dass es den (minoisch vorinfizierten) Mykenern nicht etwa mit einer Invasion, sondern gleichsam auf einer Art Sonntagsspaziergang gelungen sei, Kreta in Besitz zu nehmen. KampfmaÃnahmen oder Zerstörungen sollen dabei keine Rolle gespielt haben. Die Vernichtung der Flotte wird einer weiteren Naturkatastrophe â einem Erdbeben mit nachfolgender Flutwelle um 1400 v. Chr. â zugeschrieben.
Seit dem 17. Jahrhundert v. Chr. hatte sich auf dem griechischen Festland, in der Argolis im Nordosten der Peloponnes, der Fürstensitz Mykene als neuer Machtfaktor etabliert. Homer hat ihn als das »goldreiche Mykene« besungen. Es wurde beherrscht, was allerdings durch keinerlei Fakten beglaubigt ist, von der unheilvollen Dynastie der Atriden, deren Kapitalverbrechen die Dichter aller Zeiten zu Höchstleistungen im Fach der Tragödie angetrieben haben. Ihr mythologischer Führer weià ein Lied davon zu singen.
1841 lässt der gerade neu entstandene griechische Staat die weitgehend verschüttete Akropolis von Mykene ausgraben, und das majestätische, aus riesigen Quadern errichtete Löwentor feiert Wiederauferstehung. 1876 fördert der Troja-Triumphator Heinrich Schliemann in einem Steinkreis hinter dem Löwentor sechs Schachtgräber zutage, die bis zu vier Meter tief in den weichen Fels gegraben wurden. Er stöÃt auf 19 Skelette von Männern, Frauen und Kindern.
Die Grabbeigaben sind von atemberaubender Pracht: Goldmasken auf den Gesichtern der Männer, kostbare Halsketten und funkelnde Diademe als Zierde der Frauen, weiterer luxuriöser Schmuck, zahlreiche Waffen mit kostbaren Tauschierungen, insgesamt über 14 Kilogramm Gold.
Schliemann ist überzeugt davon, die Gräber der Atriden gefunden zu haben. In einer der aus feinem Goldblech getriebenen Totenmasken, geborgen im fünften Schachtgrab, glaubt er die Züge Agamemnons zu erkennen, der die Griechen nach Troja geführt haben soll. Aber es wird sich erweisen, dass sie einem mykenischen Fürsten zuzuordnen ist, der bereits um 1500 v. Chr. lebte, also deutlich vor der Belagerung Trojas und dem Fall der Stadt Ende des 13. Jahrhunderts.
Monumentale Burgen und Paläste wie in Mykene, Pylos und Tiryns, für deren Bau eine erhebliche Anzahl an Sklaven Voraussetzung war, bildeten die Zentren der mykenischen Kultur. Ihr Wesen wird nicht nur fassbar in den goldüberladenen Schachtgräbern, sondern auch in den später angelegten Rundbauten der Kuppelgräber.
Berühmtestes Beispiel ist das »Schatzhaus des Atreus« in Mykene. Wie das Löwentor stammt auch dieses Königsgrab aus der Spätphase der mykenischen Kultur um 1250 v. Chr. Ein langer, aus wohlgeschichteten Quadern bestehender Gang führt zu einer fünf Meter hohen Pforte mit einem Sturz aus zwei gewaltigen, über hundert Tonnen schweren Blöcken. Ein 14,5 Meter hohes Kuppelgewölbe beherrscht den Innenraum der kreisförmigen Begräbniskammer. Möglicherweise enthielten diese Rundbauten, sogenannte »Tholoi«, ähnliche Schätze wie die Schachtgräber, die aber bereits in der Antike geplündert wurden.
An fast 400 Fundstellen in Griechenland sind bronzezeitliche Relikte entdeckt worden, die als »mykenisch« gelten können. Sie verweisen auf eine überragende Handwerkskunst, die sich auch an Materialien bewährt, welche im eigenen Land nicht vorhanden sind: Elfenbein, Kupfer für die Herstellung von Bronze, Gold,
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