Unterwegs in der Weltgeschichte
schon ein anderer ähnlich »protestiert«: der Prager Reformator Jan Hus (1369â1415). Damals war ihm diese Kritik an der mächtigen Kirche allerdings schlecht bekommen. Obwohl man ihm kaiserlichen Schutz für seine An- und Abreise zum Konzil von Konstanz zugesichert hatte, stellte man ihn doch noch während des Konzils 1415 auf den Scheiterhaufen.
Den unliebsamen Kritiker konnte man verbrennen, seine Botschaft nicht. Die berechtigte Empörung seiner Anhänger mündete in die furchtbaren Hussiten-Kriege, die halb Böhmen in Schutt und Asche legten. Danach wurden die Politiker und Kirchenleute etwas vorsichtiger, wenn es darum ging, schnellen Prozess zu machen und das Versprechen des »Freien Geleits« mir nichts, dir nichts zu brechen.
Aber auch Luther wurde 1521 vom 21-jährigen Kaiser Karl V. vor den Reichstag zu Worms zitiert. Mit der Aufforderung, seiner Irrlehre abzuschwören. Denn die Angelegenheit war eskaliert, nachdem der aufmüpfige Mönch die »Rote Karte« des Papstes, die Bannandrohungsbulle, öffentlich verbrannt hatte und darauf sogleich mit dem kirchlichen Bannfluch belegt worden war. Die heftige Reaktion Luthers auf den »Statthalter des Teufels«, wie er den Papst ab sofort nannte, war vor allem deswegen so provokant ausgefallen, weil es sich hier um eine wirkliche Liebesenttäuschung handelte: Luther glaubte, der Heilige Vater wüsste gar nichts von Amtsmissbrauch, Vetternwirtschaft und Ablassschacher. Mit der bitteren Erkenntnis, dass der Papst tatsächlich selbst hinter allem stecke, war Luthers fromme Ergebenheit in rabiaten Hass umgeschlagen.
Dass Luther schlieÃlich sein â ebenfalls nur legendenhaft überliefertes â »Hier stehe ich und kann nicht anders!« dem Kaiser in Worms entgegenschleudern konnte, ohne sogleich auf dem Scheiterhaufen zu landen, hat vor allem zwei Gründe: den Buchdruck und die Politik.
Durch den Buchdruck mittels metallener, beweglicher Lettern war um 1450 von Johannes Gutenberg (1400â1468) das erste Massenmedium der Welt erfunden worden, das eine enorme Breitenwirkung entfaltete, vergleichbar dem heutigen Internet. Luther wusste von Anfang an alle Möglichkeiten des Mediums voll auszuschöpfen. Was heute Facebook leistet, bewirkten damals Luthers flott geschriebene Broschüren von kaum mehr als ein paar Dutzend Seiten, die die wesentlichen Elemente seiner neuen Lehre lauffeuerartig verbreiteten. Entsprechend rasch vergröÃerte sich seine Anhängerschaft. Bereits vor dem Wormser Reichstag war Luther zu einem Promi aufgestiegen, den man nicht einfach gefahrlos hätte beseitigen können.
Und politisch sympathisierten viele deutsche Fürsten mit Luther. Vor allem sein Landesfürst Friedrich der Weise (1486 bis 1525), der dann ja auch den geächteten und vogelfreien Rebell auf die sichere Wartburg »entführen« lieÃ, um ihn aus der Schusslinie zu nehmen. Dabei hatte die Liebe zu Luther nicht immer nur religiöse Gründe. Lange schon murrten die Fürsten, dass mit den Ablassgeldern enorme Summen nach Rom flossen â und somit nicht in ihre eigenen Taschen. AuÃerdem spekulierten sie heimlich darauf, dass ihnen bei einer erfolgreichen Reformation der reiche katholische Kirchenbesitz zuflieÃen würde.
Der Habsburger Karl V. war zudem ein junger ehrgeiziger Kaiser, der sich mit zahllosen Problemen herumschlagen musste. Er hatte von seinem GroÃvater Maximilian I. (1486â1519), den man oft den »letzten Ritter« genannt hat, ein Riesenreich in Zeiten des Umbruchs geerbt. Als gebürtiger Burgunder sprach er kaum ein paar Brocken Deutsch, musste aber die selbstbewussten deutschen Fürsten bändigen. Neben Deutschland, den Niederlanden, Spanien und Ãsterreich rechnete neuerdings auch Amerika zu seinem Imperium, in dem nun die Sonne nicht mehr unterging. Nur das gefestigte Frankreich und England entzogen sich seiner Befehlsgewalt. Mit Frankreich aber gab es ständig kriegerische Reibereien, da sein König Franz I. Italien ebenso beanspruchte, wie Karl es tat.
Versetzen Sie sich einmal in die Situation des jungen Karl, und Sie werden verstehen, dass jeder Beruf besser ist als der des Kaisers in einem inzwischen diffusen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Karl befand sich ja sozusagen im Dauerclinch: im Kampf gegen die deutschen Fürsten, die mit Luther sympathisierten und heimlich gegen den Papst Front machten;
Weitere Kostenlose Bücher