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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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verlor ich allerdings nicht aus dem Blick. Breschnew starb 1982. Juri Andropow, ein früherer KGB -Chef, hielt als sein Nachfolger ein Jahr durch, ehe auch er von einem riesigen Trauerzug an die Mauer des Roten Platzes geleitet wurde. Ihn beerbte Konstantin Tschernenko, ein alter schwerfälliger Funktionär, der wiederum nach dreizehn Monaten im Amt starb. Und dann wählte das Politbüro der alten Männer 1985 sein jüngstes Mitglied zum Generalsekretär: Michail Gorbatschow. Mir fiel die Bemerkung des Wissenschaftlers ein, der einige Jahre zuvor von diesem ungewöhnlichen Funktionär erzählt hatte – das machte mich wieder neugierig.
    Und so ging ich 1987 zurück nach Moskau, diesmal als Fernsehkorrespondent. Im Westen gab es viele Diskussionen über das, was man die »neue Sowjetunion« nannte, ohne genau zu wissen, was sich an dem System und seinen Zielen wirklich veränderte. In den Jahren zuvor hatte ich gelegentlich alte Bekannte aus den fünfziger Jahren getroffen, die damals noch Studenten gewesen waren und vorsichtig über einen demokratischeren Sozialismus philosophiert hatten. Später tauchten sie dann in ihren Berufsalltag ab, jetzt aber waren sie wieder da: Musiker, Schriftsteller und Dichter aus der Chruschtschow-Zeit, deren Veröffentlichungen zeigten, dass sie noch einmal auf einen Wandel im System hofften. Das Klima in Moskau veränderte sich tatsächlich. Bei Diskussionen über Wirtschaft und Außenpolitik, die es in beschränkter Form wieder geben durfte, wurden keine parteiamtlichen Erklärungen mehr vorgetragen, sondern die Teilnehmer stritten miteinander über die Ursachen von Krisen und Spannungen. Bei Ost-West-Debatten schien es manchmal, als argumentierten die amerikanischen Teilnehmer in dieser Zeit starrer und dogmatischer als ihre sowjetischen Gesprächspartner, die sich gerade von ihren Propagandaschablonen zu befreien versuchten.
    War da tatsächlich ein »neues Denken« eingezogen? Und wer war dieser im Apparat aufgestiegene Provinzfunktionär namens Gorbatschow? Ich nutzte jede Gelegenheit, um immer wieder darauf hinzuweisen, dass man den Sowjetbürgern und dem Ausland diesen Mann endlich einmal als Menschen und Politiker vorstellen müsse. Zunächst hatte ich mit einem amerikanischen Kollegen versucht, die Genehmigung zu einem biografischen Gorbatschow-Film zu bekommen, aber unsere Anträge bei verschiedenen sowjetischen Botschaften und bei Gorbatschow selbst waren ohne Antwort geblieben. Der US -Kollege war schließlich pensioniert worden, und ich hatte das Projekt schon fast aufgegeben, als mir im Frühjahr 1989 ein guter Bekannter aus dem sowjetischen Außenministerium den Rat gab, es doch noch einmal zu versuchen. Der Zeitpunkt sei günstig, da ein Besuch des Generalsekretärs in Bonn geplant sei. Er riet mir, wie und an wen ich meinen Antrag schreiben sollte. Zugleich wandte ich mich an den stellvertretenden Vorsitzenden des sowjetischen Fernsehens, einen Bauernsohn mit ähnlicher Herkunft wie Gorbatschow. Aus früheren Gesprächen wusste er, dass ich an einer ernsthaften Reportage und nicht an Sensationen aus Gorbatschows Privatleben interessiert war und dass ein Fernsehbericht vor dem Bonn-Besuch im Juni 1989 für beide Seiten nützlich sein könnte.
    Einige Wochen vor der Reise meldete sich dann ein Mann aus der Auslandsabteilung des Zentralkomitees bei mir. Er rief aus einer Telefonzelle des Moskauer Flughafens an und war auf dem Weg nach Peking, um Gorbatschows Staatsbesuch in China, der Mitte Mai stattfinden sollte, vorzubereiten. »Die Sache mit dem Fernsehporträt ist okay«, erklärte er, aber was genau wir drehen dürften, könne er auch nicht sagen. Vielleicht Aufnahmen von Gorbatschow im Gespräch mit seinen Beratern während des China-Besuchs oder mit anderen Mitarbeitern vor der Kulisse russisch-chinesischer Gespräche. Ein paar Tage später saß ich in der Journalisten-Maschine, die Gorbatschow auf seinem Flug begleitete, und erzählte dem Pressesprecher des Außenministeriums, mein Team und ich dürften ganz nah an Gorbatschow dranbleiben. Aber das hielt er für völlig ausgeschlossen. Auch der Sprecher des ZK wusste von nichts und hatte nur einen Trost: »Bei uns gibt es verschiedene Computer, und die sind nicht kompatibel. Vielleicht ist ihre Erlaubnis auf einem, den ich nicht kenne.«
    Als wir in Peking ankamen, überschlugen sich dort die Ereignisse – jedenfalls war es nicht der richtige Moment, um mit Vertretern der sowjetischen Delegation über ein

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