Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Der Flugplatzkommandant aber verwarnte mich und meinte, ich dürfe die Regeln nicht verletzen. Dies war meine erste Begegnung mit dem militärischen Reglement der Amerikaner – eine solch privilegierte Behandlung für einen jungen Journalisten hätte ich mir in einer deutschen Armee nicht vorstellen können. Als ich meinem Nebenmann im Flugzeug, einem amerikanischen Zeitungskorrespondenten, von dem Vorfall erzählte, war auch er geradezu empört über den Versuch, einem Offizier den Vorrang einzuräumen. Wenn so etwas einmal einreiße, dann würden am Ende alle Journalisten, auch die amerikanischen, Schwierigkeiten bekommen, meinte er.
Damit endeten die Überraschungen allerdings nicht. Im Pressecamp von Pusan gab es ein Einzelzimmer für mich, und beim Frühstück trat ein Unteroffizier an meinen Tisch und fragte: »Können Sie Auto fahren?« Als ich bejahte, stellte er mir einen Militärführerschein aus und drückte ihn mir mit den Worten in die Hand: »Ihr Jeep steht unten im Hof, gute Fahrt!« Donnerwetter, dachte ich, die Rechte der Journalisten müssen gewaltig sein. Ganz so groß waren sie dann aber doch nicht, denn wie sich herausstellte, lag eine Verwechslung vor: Am Abend zuvor waren vier amerikanische Starjournalisten angekommen, und ihretwegen war die Richtlinie ausgegeben worden, sie ohne viele Fragen bevorzugt zu behandeln. Man hatte mich irrtümlich für einen von ihnen gehalten.
Über zweihundert akkreditierte Journalisten arbeiteten in Korea. Fast alle waren Amerikaner, dazu kamen ein Dutzend Engländer, drei oder vier Franzosen und einzelne Kollegen aus jenen UNO -Staaten, die Truppen nach Korea entsandt hatten. Ich war vor allem mit einem Belgier und einem Schweden zusammen. Für die Presseoffiziere waren wir die »Europäer«, exotische Außenseiter, die zu keiner militärischen Einheit gehörten, dabei auch keine Koreaner waren und sich trotzdem frei bewegen durften und Zugang zu amerikanischen Unterkünften und Kasinos hatten. Außerdem waren wir bei weitem die Jüngsten, alle drei etwa Mitte zwanzig, und entschlossen, möglichst nah an Informationen und Ereignisse heranzukommen. Tatsächlich waren wir dann manchmal in den Unterständen und Gräben oder auf Patrouille dichter an gefährlichen Situationen als unsere Kollegen, die von den Offizieren vorsichtig im Auge behalten wurden. Einige Monate später trafen wir drei uns in Indochina wieder, und in der letzten Phase des Kriegs, den die Franzosen dort führten, stieß noch ein junger Schweizer Fotograf zu unserer Gruppe.
Der Koreakrieg war ein Krieg, der nie zu Ende ging. Nach den Feldzügen, in denen bei Grabenkämpfen, Bombardierungen und Partisanenaktionen fast eine halbe Million Soldaten auf beiden Seiten ihr Leben verloren hatten, lagen sich die Armeen seit 1951 auf einer Linie mitten durch das Land in Bunkern und Grabenstellungen gegenüber. Es gab aber auch Einheiten, denen das zu langweilig war, meist aus kleineren Ländern, wie etwa die Frankokanadier, die im ersten Jahr des Waffenstillstands immer wieder nachts zu Patrouillenvorstößen aufbrachen, in Schießereien verwickelt wurden und gelegentlich mit einem gefangenen Nordkoreaner zurückkamen. Das alles machte sie bei den Einheiten, die neben ihnen an der Frontlinie lagen, nicht gerade beliebt, denn die waren ganz zufrieden damit, dass der Krieg nach dem Waffenstillstand einzuschlafen drohte. Uns drei Korrespondenten aus Europa interessierte vor allem, wie nach einer so mörderischen Auseinandersetzung ein Übergang zu einer friedlichen Lösung möglich war. Anders als die meisten unserer Kollegen beunruhigte uns die Frage, ob eine Verschärfung der Spannungen zwischen Ost und West auch in Europa zu blutigen Zusammenstößen und womöglich zu einem ausgewachsenen Krieg führen könnte. Die chinesische Armee war in Korea eingedrungen – könnte die Rote Armee in ähnlicher Weise nach Westeuropa vorstoßen? Und wie würde das Leben in einem Land weitergehen, das zwar keinen Krieg mehr führte, aber auch noch keinen Frieden hatte?
Nach einiger Zeit war ich nicht mehr UN War Correspondent, sondern ein normaler Auslandskorrespondent. Ich fuhr in kleine Städte und in Dörfer, die noch in Trümmern lagen. Das war manchmal gefährlicher als ein Aufenthalt in der Nähe des Frontverlaufs. An der Südspitze Koreas geriet ich einmal in einen umkämpften Landstrich, in dem sich weit von der Front entfernt kommunistische Partisanen und südkoreanische Polizeieinheiten völlig
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