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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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unübersichtliche Gefechte lieferten. Ein koreanischer Lehrer, der mich aus Hilfsbereitschaft und Neugier als Dolmetscher begleitete, merkte früher als ich und noch ehe geschossen wurde, dass wir uns zwischen gefährlich umkämpften Dörfern befanden. Schließlich konnten wir nur den Armee-Jeep zwischen ein paar zerfallenen Strohhütten stehenlassen und uns zu Fuß auf die Suche nach südkoreanischen Soldaten oder Polizisten machen. Wir waren erleichtert, als uns bald tatsächlich eine kleine Gruppe von Bereitschaftspolizisten umstellte. Als westlichen Ausländer akzeptierten sie mich. Mein Dolmetscher, der ihnen meine Ausweispapiere übersetzt hatte, war dagegen schlechter dran und wurde als Gefangener behandelt. Erst der Chef dieser Mannschaft erklärte ihn für frei und sorgte auch dafür, dass wir unseren Jeep unbeschädigt wiederbekamen. Schließlich tranken wir zusammen ein paar Schnäpse, und er nannte mir seinen Namen: Chief Tiger Kim. Solange wir bei ihm waren, hielt sich mein Dolmetscher respektvoll, ja fast furchtsam hinter mir. Erst am nächsten Morgen erzählte er mir, wer Chief Tiger Kim war: einer der blutrünstigsten Partisanenbekämpfer, ein Folterer, manche sagten Mörder. Mich hatte er eingeladen, in seinem Camp zu übernachten, nach einem guten Abendessen und mit hübschen Frauen. »Chief Tiger Kim – bloody best fuck in the world«, pries er sich an. Ich war ihm dankbar, dass er uns aus einer schwierigen Situation herausgeholt hatte, aber dieses Angebot mochte ich dann doch nicht annehmen.
    In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul begann sich das Leben allmählich zu normalisieren. Neben der UNO -Militärpräsenz gab es koreanische Verwaltungseinrichtungen und den Apparat des Präsidenten Syngman Rhee, der seine Macht mit einem diktatorischen Herrschaftssystem zu sichern suchte. Einmal bemühten wir drei jungen Korrespondenten uns um ein gemeinsames Interview mit ihm und seiner österreichischen Frau, was jedoch unter den amerikanischen Kollegen für Protest sorgte. Wieso sollten ausgerechnet diese jungen Männer aus irgendwelchen westeuropäischen Staaten Zugang zu Syngman Rhee bekommen? Die Engländer und Franzosen sahen das ähnlich. In einer Bar artete das Ganze schließlich in einen lauten Streit mit einigen amerikanischen Korrespondenten aus. Wir Europäer seien doch bloß Mitläufer, die sich um die Teilnahme an diesem Krieg drückten, ließen sie uns wissen. Ein Sergeant kam so in Fahrt, dass er uns aus der Bar prügeln wollte. Aber eine richtige Schlägerei wusste die Militärpolizei zum Glück zu verhindern. Aus unserem Interview wurde selbstverständlich nie etwas.
    So hielt ich mich lieber an die Kontakte zu Koreanern, vor allem an Gespräche mit Lehrern und Professoren, die sich bemühten, an Kulturgütern und Geschichtszeugnissen zu retten, was die japanische Okkupation und den Krieg überlebt hatte. Einer der Direktoren des Nationalmuseums hatte in Deutschland studiert und freute sich, wieder einmal Deutsch sprechen zu können. Für mich bot sich umgekehrt die Möglichkeit, mit der koreanischen Kunst und Kultur in Berührung zu kommen. Gelegentlich konnte ich sogar ein bisschen mithelfen, wenn Kunstwerke aus den zerstörten Museen in den Händen von Ausländern auftauchten – für ein paar Dollar als Souvenir erstanden. Das meiste davon war nicht wirklich bedeutend, aber wenn man einen der neuen Besitzer überreden konnte, sein Kunstwerk an Museumsleute zu verkaufen oder manchmal auch zu verschenken, dann zeigten diese stolz die Siegel des zerstörten Museums, das die Stücke nun zurückbekam.
    Viele der Koreaner sprachen gut Deutsch. Als ich meinen schwedischen Kollegen einmal beim Arzt abholte, war der koreanische Mediziner so begeistert, dass er sogar zu singen anfing: »In München steht ein Hofbräuhaus.« Das Lied kannte er noch aus seinen Studientagen in München, Mitte der dreißiger Jahre, in einer Zeit, die für ihn vielleicht die beste seines Lebens gewesen sei, meinte er. So gut sei die Hitlerzeit nun auch nicht gewesen, entgegnete ich. Als ausländischer Student sehe man das eben anders, sagte er daraufhin und wollte von mir wissen, was ich wohl an koreanischen Erinnerungen behalten würde. Tatsächlich kannte ich auch nur ein einheimisches Volkslied namens »Arirang«. Das hatten mir die Tänzerinnen vom Nationalballett beim Besuch einer ihrer Proben vorgesungen. Mehr als die schmalzige Melodie und das eine Wort »Arirang« hatte ich freilich nicht

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