Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
seines Modernisierungsprogramms warben. Johnson brachte Gesetze ein, die die Gleichberechtigung der schwarzen Amerikaner und besonders ihr Wahlrecht absichern sollten. Er begann, den mörderischen Ku-Klux-Klan, der weiße wie schwarze Bürgerrechtler auf seiner Abschussliste hatte, mit neuen Gesetzen und mit Hilfe der Bundespolizei zu bekämpfen. Ein Dreivierteljahr nach Kennedys Tod paukte er ein Bürgerrechtsgesetz durch den Kongress, an dem sein Vorgänger noch gescheitert war. Nun setzte er all seine Macht und all seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen ein, um schließlich ein weiteres Gesetz durchzubringen, das jede Art von Einschränkung des Wahlrechts sowie jede Behinderung eines Wählers unter Strafe stellte.
In manchen Städten des Südens hielten die weißen Bürger diese Politik für eine Art Kriegserklärung. Die Stimmung wurde immer gereizter, bis die Auseinandersetzung 1965 ihren Höhepunkt erreichte: Am 7. März waren einige Hundert überwiegend schwarze Demonstranten im Bundesstaat Alabama zu einem neunzig Kilometer langen Protestmarsch von der Kleinstadt Selma in die Hauptstadt Montgomery aufgebrochen, um für ein gerechteres Wahlrechtsgesetz zu demonstrieren, wie es auch Präsident Johnson durchsetzen wollte. Sie kamen jedoch nicht weit – bereits an der Stadtgrenze von Selma, an der Brücke über den Alabama-Fluss, wurden sie gestoppt. Der Sheriff ließ ihnen dort durch seine Bereitschaftspolizisten den Weg verstellen. Sie schlugen die Demonstranten zusammen und traten auf die Verletzten ein, eine Wolke von Tränengas breitete sich aus, während Polizisten zu Pferde in die Menge hineinritten. Zwei Tage später, am 9. März, brachen die Demonstranten erneut auf, mussten jedoch wieder an der Brücke kehrtmachen. Drei weiße Geistliche aus Boston, die sich auf Bitten Martin Luther Kings dem Marsch angeschlossen hatten, um Gewalttätigkeit zu verhindern, wurden am Abend des 9. März von Polizisten verprügelt. Alle drei erlitten schwere Verletzungen, einer von ihnen starb zwei Tage später im Krankenhaus. Die ausführlichen Fernsehberichte über die Vorfälle von Selma sorgten in ganz Amerika für Empörung.
Ich wollte mir ein eigenes Bild von der Lage verschaffen und machte mich auf in den Süden. In Alabama fuhr ich durch die ärmlichen Siedlungen der schwarzen Landarbeiter, die zwischen den überwiegend weißen Städten und Städtchen lagen. An den Tankstellen trennten Schilder die Reisenden nach ihrer Hautfarbe: »Männer weiß«, stand da an einer Toilettentür, »Männer schwarz« auf der nächsten. Als ich in einem Restaurant ein Spiegelei aß, kam ein ziemlich grobschlächtiger Weißer herein: Dieses Restaurant sei nur für »Neger«. Er forderte mich auf, in ein anderes Restaurant zu gehen, besah sich dann argwöhnisch meinen Journalistenausweis für das Weiße Haus, ehe er schließlich, immer noch misstrauisch und böse, wieder abzog. Von da an bewegte ich mich sehr vorsichtig durch die kleine Stadt. Der schwarze Koch in dem Restaurant hatte mich gewarnt: Wenn ich auch nur mit einem Rad meines Wagens über den gelben Streifen des Überholverbots führe, würde mich der Ortspolizist anhalten, eine Anzeige schreiben und mir die höchstmögliche Kaution abverlangen. Wenn ich das Geld für die Kaution nicht bei mir hätte, würde man mich im Kreisgefängnis bis zum nächsten Gerichtstag festsetzen. Der Koch hatte einige Jahre in New York gearbeitet und war nun versuchsweise in seinen Heimatort zurückgekommen, aber er war sich gar nicht sicher, dass er dort bleiben konnte.
Beim Essen im Restaurant eines kleinen Hotels, zu dem wiederum nur Weiße Zutritt hatten, sprach mich ein älteres Ehepaar an und ermahnte mich, nur ja vorsichtig zu sein, besonders wenn ich mich an Orte der Auseinandersetzungen begäbe. Ich wolle doch sicher heil zurückkommen. Der Mann, ein Bauunternehmer aus Atlanta, der Hauptstadt des Nachbarstaats Georgia, erklärte mir die Lage, wie er sie sah: Die Unruhen und Zusammenstöße in einem Ort wie Selma seien nur hervorgerufen durch die Eitelkeit dieses Doktor Martin Luther King, der unbedingt berühmt werden wolle. Ohne ihn wäre dort alles ruhig geblieben. Das Wahlrechtsgesetz, das Präsident Johnson vorbereite, sei sehr gefährlich. Wenn die Bundesregierung den Einzelstaaten vorschreibe, wen sie als Wähler zu registrieren hätten, dann sei das der erste Schritt hin zur Diktatur. Das Ehepaar gehörte zu jenen, die man im Süden die »besserdenkenden
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