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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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geben. Alles drehte sich um ihn wie eine wirbelnde Wolke. Und der Großmuttersöhnchen-Alt, dieser kleine Carlo Marx, hopste, tanzte einen Affentanz mit seinem magischen Horn, zweihundert Blues-Chorusse blies er ohne Pause, jeder noch ausgeflippter als der vorangegangene, und noch immer kein Zeichen von abschlaffender Energie oder Bereitschaft, Schluss zu machen. Alles im Raum vibrierte.
    An der Ecke Fourth Street und Polsom Street stand ich eine Stunde später mit Ed Fournier zusammen, einem Altsaxophonisten aus San Francisco, der mit mir auf Dean wartete. Dean war in einer Bar verschwunden, um Roy Johnson anzurufen, damit er uns abholte. Es war nichts weiter, wir unterhielten uns einfach, doch plötzlich bot sich uns ein sehr sonderbarer und reichlich verrückter Anblick. Es war Dean. Er wollte Roy Johnson die Adresse der Bar durchgeben, in der er stand, also bat er ihn, am Apparat zu bleiben, und lief hinaus, um nach den Straßenschildern zu sehen, und musste dazu eine lange, schmale Bar voll lärmender Trinker in weißen Hemden durchqueren und auf die Mitte der Straße hinauslaufen. Tief geduckt wie Groucho Marx kam er mit verblüffend flinken Füßen aus der Kneipe geflogen wie eine Erscheinung, den Ballondaumen hoch in den Nachthimmel gereckt, machte eine schlitternde Vollbremsung mitten auf der Straße und verrenkte den Kopf nach den Straßenschildern. Sie waren im Dunkeln schlecht zu erkennen, und Dean drehte sich ein Dutzend Mal auf der Straße, den Daumen hoch in der Luft, und all dies in atemlosem, beklemmendem Schweigen, ein wild zerzauster Mensch, der seinen Ballondaumen hoch emporhielt wie eine große Himmelsgans und durch die Nacht kreiselte und kreiselte, lässig die andere Hand in die Hosentasche geschoben. Ed Fournier sagte gerade: «Ich spiele einen leisen Bebop, wo ich auch bin, und wenn’s den Leuten nicht gefällt, kann ich auch nichts machen. Aber, sag mal, dein Freund ist ja ein irrer Typ, sieh ihn dir an, da, sieh mal!» Und wir sahen hin. Stille war rund um uns, als Dean die Straßenschilder erblickte und wieder in die Kneipe raste, sozusagen unter den Beinen herauskommender Gäste hindurch, und so schnell durch die Bar flitzte, dass man schon zweimal hinschauen musste, um ihn zu erkennen. Gleich darauf kreuzte Roy Johnson auf, und zwar mit der gleichen verblüffenden Schnelligkeit. Dean glitt über die Straße, in den Wagen, und all dies in völliger Lautlosigkeit. Wir fuhren los.
    «Roy, mir ist klar, dass du Streit hast mit deiner Frau, aber wir müssen jetzt unbedingt zur Forty-sixth Street, Ecke Geary, und zwar in der unglaublichen Zeit von drei Minuten, sonst ist alles verloren. Äh-hm! Ja! (Räusper-räusper.) Morgen früh starten Sal und ich nach New York, und dies ist absolut unsere letzte Nacht, und ich weiß, du nimmst es nicht übel.»
    Nein, Roy Jonson nahm es nicht übel; er überfuhr lediglich jede Ampel, die er finden konnte, und chauffierte uns weiter in unseren Wahnsinn. Bei Morgengrauen fuhr er nach Hause und legte sich schlafen. Dean und ich waren mit einem Schwarzen, der Walter hieß, zurückgeblieben; er orderte Drinks an der Bar, ließ sie auf der Theke aufreihen und sagte: «Wein-Spodiodi!» Das war ein Schuss Portwein, ein Schuss Whisky und noch ein Schuss Portwein. «Nettes Tarnjäckchen für den miesen Whisky!», brüllte er.
    Er lud uns zu sich nach Hause ein, auf eine Flasche Bier. Er wohnte in den Mietskasernen hinter der Howard Street. Seine Frau lag im Bett und schlief, als wir kamen. Das einzige Licht war die Glühbirne über ihrem Bett. Wir mussten auf einen Stuhl steigen und die Birne herausdrehen, während die Frau lächelnd dalag; Dean tat es mit flatternden Augendeckeln. Sie war ungefähr fünfzehn Jahre älter als Walter, die süßeste Frau der Welt. Wir mussten das Verlängerungskabel über ihrem Bett einstöpseln, und sie lächelte und lächelte. Mit keinem Wort fragte sie Walter, wo er gewesen sei, wie spät es sei, nichts. Schließlich hatten wir das Verlängerungskabel in die Küche gespannt und setzten uns an den bescheidenen Tisch, wo wir Bier tranken und Geschichten erzählten. Draußen dämmerte der Morgen. Es war Zeit, zu gehen und die Verlängerungsschnur wieder aufzurollen und die Birne wieder einzuschrauben. Walters Frau lächelte und lächelte, während wir die blödsinnige Prozedur noch einmal durchzogen. Sie sagte kein Wort.
    Draußen, auf der dämmerigen Straße, sagte Dean: «Siehst du, Junge, das ist mal eine richtige Frau. Kein

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