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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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nicht, was mit mir los war, und plötzlich wurde mir klar, dass es nur das Gras war, das wir rauchten; Dean hatte es in New York gekauft. Es brachte mich auf die Idee, dass alles unmittelbar bevorstand – der Moment, da du weißt, dass alles und jedes für immer entschieden ist.

fünf
    Ich nahm Abschied von allen und fuhr nach Hause, ich brauchte Ruhe. Meine Tante meinte, ich verschwendete nur meine Zeit, wenn ich mit Dean und seiner Clique herumhinge. Auch mir war klar, dass es nicht in Ordnung war. Das Leben ist, wie es ist, und jeder lebt es auf seine Art. Nur, ich wollte gern noch einmal eine tolle Fahrt an die Westküste machen und dann rechtzeitig zum Frühjahrssemester wieder an der Uni sein. Und was für eine Fahrt sollte es werden! Eigentlich machte ich nur der Fahrt wegen mit und weil ich sehen wollte, was Dean noch alles anstellte, schließlich aber auch deshalb, weil ich wusste, dass Dean in Frisco zu Camille zurückkehren würde und ich eine Affäre mit Marylou haben wollte. Wir machten uns also bereit, wieder einmal den ächzenden Kontinent zu durchqueren. Ich löste meinen Veteranenscheck ein und gab Dean achtzehn Dollar, die er seiner Frau schicken sollte; sie wartete auf seine Rückkehr, und sie war pleite. Was Marylou sich dachte, wusste ich nicht. Ed Dunkel trottete wie immer mit.
    Es kamen noch lange, fröhliche Tage in Carlos Wohnung, bevor wir losfuhren. Er lief in seinem Bademantel herum und hielt halb ironisch gemeinte Reden. «Nun, ich will euch ja nicht eure süßen Träume nehmen, aber mir scheint, es ist an der Zeit, dass ihr euch darüber klar werdet, wer ihr seid und was ihr mit eurem Leben anfangen wollt.» Carlo jobbte in einem Büro und schrieb Schreibmaschine. «Ich möchte mal wissen, was das eigentlich bedeuten soll, wenn ihr den ganzen Tag zu Hause rumsitzt. Was soll das ewige Gerede, und was habt ihr eigentlich vor? Dean, warum hast du Camille sitzenlassen und Marylou aufgegabelt?» Keine Antwort, nur Gekicher. «Marylou, warum reist du einfach so im Land herum, und wonach strebst du, wenn du an das Totenhemd denkst?» Die gleiche Antwort. «Ed Dunkel, warum hast du deine junge Frau in Tucson verlassen, und was hockst du hier auf deinem dicken Arsch? Wo ist dein Zuhause? Was ist deine Arbeit?» Ed Dunkel ließ in ehrlicher Verlegenheit den Kopf hängen. «Sal, wieso bist du dermaßen auf den Hund gekommen, und was hast du mit Lucille gemacht?» Er strich seinen Bademantel glatt und sah uns alle an. «Es wird kommen der Tag des Zorns. Euer Ballon wird zerplatzen. Und nicht nur das, es ist ein abstrakter Ballon. Ihr werdet zur Westküste fliegen und zu Fuß zurückgewankt kommen, auf der Suche nach eurem Grab.»
    In jenen Tagen hatte sich Carlo einen Ton angewöhnt, der, so hoffte er, wie «die Stimme vom Berge» klang; seine Absicht war es, die Leute zur Erkenntnis zu zwingen. «Ihr lauft Hirngespinsten nach», warnte er, «ihr hängt kopfüber bei den Fledermäusen unter dem Dach.» Mit irrem Blick funkelte er uns an. Seit der Dakar-Trübsal hatte er eine schreckliche Zeit durchgemacht, die er die Heiligen-Trübsal oder Harlem-Trübsal nannte, als er im Hochsommer in Harlem hauste und nachts in seiner einsamen Bude erwachte und die «große Maschine» vom Himmel herabsteigen hörte oder «unter Wasser» mit all den anderen Fischen über die 125th Street lief. Es war ein Chaos strahlender Ideen, die sein Gehirn erleuchtet hatten. Er zwang Marylou, sich auf seinen Schoß zu setzen, und befahl ihr, sich endlich zu beruhigen. Und zu Dean sagte er: «Setz dich doch einfach mal hin und entspanne dich. Warum springst du dauernd herum?» Dean rannte hin und her, rührte Zucker in seinen Kaffee und sagte: «Ja! Ja! Ja!» In der Nacht schlief Ed Dunkel auf Kissen am Boden, Dean und Marylou vertrieben Carlo aus seinem Bett, und Carlo saß in der Küche vor seinem Nierengulasch und murmelte seine Weissagungen vom Berge. Tagsüber kam ich dazu und erlebte alles mit.
    Ed Dunkel sagte zu mir: «Heute nacht bin ich zum Times Square gelaufen, und als ich ankam, erkannte ich plötzlich, dass ich ein Geist war – es war mein Geist, der auf dem Bürgersteig ging.» Solche Sachen sagte er ohne jeglichen Kommentar und nickte dazu nachdrücklich mit dem Kopf. Zehn Stunden später sagte Ed mitten in das Gespräch anderer hinein: «Jawohl, es war mein Geist, der auf dem Bürgersteig ging.»
    Dean beugte sich plötzlich mit ernster Miene zu mir herüber und sagte: «Sal, ich hab eine Bitte an dich –

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