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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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kostenlos Brot und Käse, während der Ladenbesitzer in der anderen Ecke mit einem stämmigen Rancher schwatzte. Dean juchzte, als er es hörte; er war hungrig. Wir konnten keinen Cent für Essen ausgeben. «Ja-ja», seufzte er, als er die Rancher auf der Hauptstraße von Sonora auf und ab schlendern sah, «jeder von ihnen ist ein Scheißmillionär, tausend Rinder, Arbeiter, Häuser, Geld auf der Bank. Wenn ich hier lebte, dann als armer Irrer draußen in der Prärie, als gehetzter Hase, der Salbeisträucher knabbert, aber ich würde die Augen nach hübschen Cowgirls verdrehen – hi-hi-hi-hi! Verdammt! Peng!» Er schlug sich mit der Faust aufs Knie. «Ja! Genau! O je!!» Wir wussten nicht mehr, was er redete. Er übernahm das Steuer und raste den Rest der Strecke quer durch Texas, bis nach El Paso, ungefähr achthundert Kilometer, ohne Halt, bis auf das eine Mal bei Ozona, als er sich alle Kleider vom Leib riss und juchzend und springend nackt durch die Büsche lief. Autos brausten vorbei und sahen ihn nicht. Er huschte ins Auto zurück und fuhr weiter. «Jetzt hört, ihr beide, Sal und Marylou, ich finde, ihr solltet es machen wie ich, befreit euch von all den Klamotten – wozu überhaupt Klamotten? sage ich immer schon – und lasst euch wie ich die Sonne auf eure schönen Bäuche scheinen. Na, kommt!» Wir fuhren nach Westen, der Sonne entgegen; sie schien schräg durch die Windschutzscheibe. «Tut euren Bauch auf, wir fahren direkt ins Licht.» Marylou fügte sich; auch ich machte unverdrossen mit. Alle drei saßen wir auf der vorderen Bank. Marylou kramte Coldcream hervor und rieb uns zum Spaß damit ein. Immer wieder brausten große Lastwagen vorbei; die Fahrer in ihren hohen Kabinen erhaschten einen Blick auf eine goldbraune Schönheit, die nackt zwischen zwei nackten Männern saß. Man konnte sehen, wie sie einen Moment ins Schleudern gerieten, wenn sie in unserem Rückspiegel verschwanden. Weite Ebenen voll Steppengebüsch, schneefrei jetzt, zogen vorbei. Bald waren wir am Pecos Canyon mit seinen orangeroten Felsen. Vor uns die blaue Ferne, bis in den Himmel hinauf. Wir stiegen aus und besichtigten eine alte Indianer-Ruine. Dean splitterfasernackt. Marylou und ich hatten uns Mäntel übergeworfen. Juchzend und kreischend wanderten wir zwischen den alten Steinen herum. Touristen erblickten Dean nackt in der Prärie, aber sie trauten ihren Augen nicht und trippelten weiter.
    Dean und Marylou parkten den Wagen in der Nähe von Van Horn und liebten sich; ich legte mich schlafen. Als ich aufwachte, rollten wir durch das gewaltige Tal des Rio Grande, über Clint und Ysleta nach El Paso. Marylou kletterte auf den Rücksitz, ich stieg nach vorn, und wir rollten weiter. Zu unserer Linken, jenseits der unermesslichen Ebene des Rio Grande, waren die maurisch-roten Berge der mexikanischen Grenze, das Land der Tarahumara; zarter Dunst umspielte die Gipfel. Geradeaus vor uns lagen die fernen Lichter von El Paso und Juárez, verstreut in einem so ungeheuer weiten Tal, dass man mehrere Eisenbahnzüge zur gleichen Zeit in alle Richtungen dampfen sah, als wäre es das Tal der Welt. Dort ging es hinunter.
    «Clint, Texas!», rief Dean. Er hatte im Radio den Sender von Clint eingestellt. Alle fünfzehn Minuten spielten sie eine Platte; die restliche Zeit war Werbung für einen Highschool-Fernkurs. «Dieses Programm wird über den ganzen Westen ausgestrahlt», rief Dean aufgeregt. «Mann, ich habe das Tag und Nacht gehört, in der Besserungsanstalt und im Knast. Alle haben wir hingeschrieben. Wenn du die Prüfung bestehst, kriegst du per Post ein Highschool-Diplom, eine Kopie davon. All die jungen Kerle im Westen, was weiß ich, schreiben irgendwann deswegen hin; es gibt ja nichts anderes; in Sterling, Colorado, oder Lusk, Wyoming, oder wo auch sonst kannst du das Radio anstellen, und immer hörst du nur Clint, Texas, Clint, Texas. Sie spielen dauernd Cowboy- und Hillbilly-Platten und mexikanische Musik, absolut das schlechteste Programm in der Geschichte des Landes, und niemand kann etwas dagegen tun. Sie haben einen unheimlich starken Sender; sie haben das ganze Land an der Strippe.» Wir sahen den hohen Sendemast hinter den schäbigen Häusern von Clint. «Oh, Mann, Dinge könnte ich euch erzählen …!», schrie Dean, und fast kamen ihm die Tränen. Den Blick auf Frisco und die Westküste gerichtet, kamen wir abends völlig abgebrannt in El Paso an. Wir mussten unbedingt Geld für Benzin auftreiben, sonst würden wir’s

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