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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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nicht schaffen.
    Wir versuchten alles. Wir klingelten bei der Mitfahrerzentrale an, aber an diesem Abend wollte niemand nach Westen. Die Mitfahrerzentrale ist ein Büro, wo man hingehen und nach Mitfahrern fragen kann, die sich an den Benzinkosten beteiligen, was im Westen ganz legal ist. Da warten schräge Typen mit ihren zerbeulten Koffern. Wir gingen zum Greyhound-Busbahnhof und wollten versuchen, jemanden zu überreden, uns das Geld zu geben, statt mit dem Bus zur Küste zu fahren. Wir waren zu schüchtern, um sonst jemanden anzuhauen. Traurig schlenderten wir herum. Ein College-Student kam ins Schwitzen, als er die süße Marylou sah, und bemühte sich, ein interessiertes Gesicht zu machen. Dean und ich beratschlagten kurz, kamen aber zu dem Schluss, dass wir keine Zuhälter waren. Plötzlich machte sich ein dumpfer, geistesgestörter junger Kerl an uns ran, frisch aus der Besserungsanstalt entlassen, und er und Dean verschwanden auf ein Bier. «Komm, Mann, dreschen wir jemand auf die Schnauze und stecken sein Geld ein.»
    «Alles klar, Mann!», rief Dean. Sie rannten los. Einen Moment lang machte ich mir Sorgen; Dean wollte mit dem Jungen aber nur die Straßen von El Paso checken und seinen Spaß haben. Marylou und ich warteten im Wagen. Sie umarmte mich.
    Ich sagte: «Verdammt, Lou, warte, bis wir in Frisco sind.»
    «Ist mir egal. Dean wird mich sowieso verlassen.»
    «Wann gehst du wieder nach Denver?»
    «Weiß nicht. Ist mir egal, was ich mache. Könnte ich nicht mit dir in den Osten gehen?»
    «Wir müssen in Frisco erst Geld auftreiben.»
    «Ich weiß einen Diner, wo du am Tresen arbeiten kannst, und ich geh als Kellnerin. Ich weiß auch ein Hotel, wo wir auf Pump wohnen können. Wir müssen zusammenbleiben. Gott, bin ich traurig.»
    «Warum bist du traurig, Kleines?»
    «Ach, wegen allem. Oh, verdammt, ich wünschte, Dean wäre nicht so verrückt.» Dean kam augenzwinkernd und kichernd zurück und sprang ins Auto.
    «Oh, was war das für ein irrer Typ! Der gefällt mir! Ich habe Tausende von solchen Kerlen gekannt, einer ist wie der andere, ihre Hirne ticken alle im gleichen Takt, oh, diese unendlichen Verzweigungen, keine Zeit, keine Zeit …» Und er trat aufs Gas, beugte sich tief übers Steuer und donnerte aus El Paso raus. «Dann müssen wir eben Tramper auflesen. Bin mir sicher, wir finden welche. Hep-hep! Jetzt geht’s los. Pass doch auf!», schrie er einen Autofahrer an und überholte ihn und wich einem Lastwagen aus und bretterte aus der Stadt. Jenseits des Flusses sah man die wie Perlen schimmernden Lichter von Juárez, das trostlose dürre Land und die Brillantensterne von Chihuahua. Marylou beobachtete Dean, wie sie ihn auf der ganzen Fahrt quer durchs Land und wieder zurück beobachtet hatte, aus dem Augenwinkel – mit einem trüben und traurigen Ausdruck, als wollte sie ihm den Kopf abschneiden und in ihrem Schrank verstecken, voll neidischer und reumütiger Liebe zu ihm, der so erstaunlich er selber war, unbändig und arrogant und wahnsinnig auf seine Art, mit einem Lächeln zärtlicher Hingabe, aber auch finsterer Missgunst, das mir Angst um sie machte, eine Liebe, bei der nichts rauskommen konnte, wie sie wusste, denn wenn sie sein schmales knochiges Gesicht betrachtete, mit der männlichen Verschlossenheit und der Geistesabwesenheit, die sich darin spiegelte, wusste sie, er war einfach viel zu verrückt. Dean war überzeugt, dass Marylou eine Hure sei; mir hatte er anvertraut, sie sei eine krankhafte Lügnerin. Aber wenn sie ihn so beobachtete, war es doch Liebe; und wenn Dean es merkte, zeigte er ihr immer sein falsches breites flirtendes Lächeln, mit zuckenden Wimpern und perlweißen Zähnen, während er noch kurz zuvor in seiner Ewigkeit dahingeträumt hatte. Dann lachten wir beide, Marylou und ich, doch Dean ließ sich nicht aus der Fassung bringen und lächelte nur sein bekloppt fröhliches Lächeln, als ob er sagen wollte: Macht es nicht trotzdem Spaß? Und so war’s.
    Außerhalb von El Paso sahen wir in der Dunkelheit eine kleine Gestalt kauern, die den Daumen hochreckte. Unser ersehnter Tramper. Wir bremsten und setzten zurück. «Wie viel Geld hast du, Junge?» Der Junge hatte kein Geld; er war ungefähr siebzehn Jahre, blass, seltsam, mit einer zu kurzen, verkrüppelten Hand und ohne Gepäck. «Ist er nicht süß ?», sagte Dean, zu mir gewandt und mit ehrlichem Staunen. «Komm, steig ein, wir fahren dich ein bisschen spazieren –» Der Junge witterte seine Chance. Er

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