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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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ausgebreitet, praktisch der Boden von Kalifornien, grün und schön anzusehen von unserer luftigen Aussichtsplattform. Wir schafften dreißig Meilen, ohne einen Tropfen Benzin zu verbrauchen.
    Plötzlich waren wir alle ganz aufgeregt. Als wir nach Bakersfield kamen, wollte Dean mir in allen Einzelheiten erzählen, was er über die Stadt wusste. Er zeigte mir Häuser, in denen er gewohnt hatte, Eisenbahnerhotels, Billardhallen und Imbissbuden, die Rangiergleise, wo er von der Lok abgesprungen war, um Weintrauben zu pflücken, chinesische Restaurants, wo er gegessen hatte, Parkbänke, wo er mit Mädchen geknutscht hatte, und bestimmte Plätze, wo er einfach nur gesessen und gewartet hatte. Deans Kalifornien – wild, schwitzig, wichtig, das Land der Einsamen und Verbannten, der exzentrischen Liebenden, die hier wie Zugvögel einschwärmten, ein Land, wo jeder aussah wie ein abgebrannter, flotter, etwas dekadenter Filmschauspieler. «Mann, auf genau dem Stuhl vor dem Drugstore hab ich stundenlang gesessen!» An alles erinnerte er sich – an jedes Kartenspiel, jede Frau, jeden trostlosen Abend. Und plötzlich kamen wir an dem Platz am Güterbahnhof vorbei, wo Terry und ich bei Mondschein auf den Obstkisten der Penner gesessen und Wein getrunken hatten, im Oktober 1947, und ich versuchte ihm davon zu erzählen. Aber er war zu aufgeregt. «Das ist die Stelle, wo Ed Dunkel und ich einen ganzen Morgen lang Bier gesoffen haben und eine echt scharfe Kellnerin aus Watsonville anmachen wollten – nein, aus Tracy, sie war aus Tracy und hieß Esmeralda, oh, Mann, oder so ähnlich.» Marylou überlegte, was sie machen wollte, wenn sie erst einmal in Frisco war. Alfred sagte, dass seine Tante drüben in Tulare ihm jede Menge Geld geben würde. Der Wanderarbeiter dirigierte uns zu seinem Bruder, draußen in der Ebene vor der Stadt.
    Gegen Mittag hielten wir vor einer kleinen, von Rosenspalieren verdeckten Hütte, und der Wanderarbeiter ging hinein und redete mit irgendwelchen Frauen. Wir warteten fünfzehn Minuten. «Ich glaube allmählich, der Junge hat nicht mehr Geld als ich», sagte Dean. «Wir sitzen in der Tinte. Nach dieser blöden Spritztour wird keiner in der Familie ihm einen Cent geben wollen.» Der Wanderarbeiter kam dämlich grinsend aus dem Haus und dirigierte uns zurück in die Stadt.
    «Mist, verdammter, wenn ich nur meinen Bruder finden könnte.» Er fragte die Leute aus. Wahrscheinlich empfand er sich als unser Gefangener. Zuletzt fuhren wir zu einer großen Brotfabrik, und der Wanderarbeiter kam mit seinem Bruder heraus, der einen blauen Overall trug und anscheinend der Autoschlosser der Fabrik war. Er sprach eine Weile mit seinem Bruder. Wir saßen im Auto und warteten. Der Wanderarbeiter erzählte allen seinen Verwandten von seinen Abenteuern und vom Pech mit seiner Gitarre. Aber er kriegte Geld, und er gab es uns, und jetzt war der Weg frei nach Frisco. Wir dankten ihm und fuhren los.
    Unser nächster Halt war Tulare. Wir brausten das San Joaquin Valley hinauf. Ich lag auf dem Rücksitz, völlig erschöpft und am Ende, und irgendwann am Nachmittag, während ich eingenickt war, sauste der schlammverspritzte Hudson an dem Zeltplatz draußen vor Sabinal vorbei, wo ich in grauer Vorzeit gelebt und geliebt und gearbeitet hatte. Dean saß starr vor dem Lenkrad und trommelte auf die Speichen. Ich schlief, als wir endlich in Tulare ankamen; ich wachte auf und musste mir die Wahnsinnsgeschichte anhören. «Sal, wach auf! Alfred hat den Lebensmittelladen seiner Tante gefunden, aber weißt du, was passiert ist? Seine Tante hat ihren Mann erschossen und sitzt im Gefängnis. Der Laden ist geschlossen. Wir kriegen keinen Cent. Stell dir das vor! Sachen passieren! Genau die Geschichte, die uns der Wanderarbeiter erzählt hat, mehr oder minder. Probleme auf allen Seiten, Verwicklungen – oh, verdammt!» Alfred saß da und biss sich auf die Fingernägel. In Madera bogen wir von der Straße nach Oregon ab und nahmen Abschied von unserem kleinen Alfred. Wir wünschten ihm Glück und gute Reise nach Oregon. Er sagte, es sei die schönste Fahrt seines Lebens gewesen.
    Minuten später, so schien es uns, als wir durch die Hügel von Oakland rollten, sahen wir plötzlich, von einer Höhe aus, die märchenhafte weiße Stadt San Francisco auf ihren elf mystischen Hügeln liegen, mit dem blauen Pazifischen Ozean dahinter und der sich vom «Potato Patch» heranwälzenden Nebelwand, den Rauch und den goldenen Glanz der Abendsonne. «Da

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