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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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wie sie sich unter den blinkenden Lichtern schlängelten und wie sie schimmerten, und Klara fühlte Bewunderung und Mißgunst zugleich, war berührt von ihrem Anblick, die andere Frau trug Jeans und geflochtene Sandalen und die Haare in Korkenzieherlocken, eine Diplomatentochter, dachte Klara, und wie unbeschwert waren sie in ihrer Körperhaltung, in der Anmut einer besonderen, vorübergehenden Hingabe, wie jede den Blick der anderen im Fieber der Lichtorgel suchte, und Klara war getroffen von ihrer eigenen Reaktion.
    Aceys Aufstieg, Aceys Name im Gespräch, ihr draufgängerisches Talent und ihr Sinn für Freiheit, ihre selbstbehauptende Art und wie sie alles auf einmal haben wollte und vermutlich kriegen würde, und wie sie in dem Licht tanzte, gewissermaßen gestreift, mit offener Jacke, und die Musik ließ die Wände wackeln.
    Der Witz ist, Esther machte keine Witze. Ein Priester tauchte auf, aus der Gemeinde irgendeines Schauspielers, von Esther organisiert, obwohl Jack seit vierzig Jahren nicht mehr in der Kirche gewesen war, abgesehen von der Mitternachtsmette zu Weihnachten, die er stets, wie es so schön heißt, andächtig besuchte.
    Sie saßen herum und redeten über Musicalmelodien vom Broadway. Jack war zu schwach, um zu singen oder Witze zu erzählen. Er war ein großes, hingestrecktes, geklopftes Kalbsschnitzel. Esther hielt ihm die Hand, bis sie auf eine Zigarette hinausgehen mußte. Sie hatte aufgehört und wieder angefangen, und der Priester ging mit ihr, und Klara schüttelte Jack das Kissen auf.
    Und als sie Acey am Ende des Abends umarmte – es war für Klara das Ende des Abends, denn die Musik an diesem Ort war eine Form von Hirnschlag, und sie mußte schnellstens da weg, und als sie Acey umarmte und ihr sagte, die Ausstellung sei toll und ihr alles erdenklich Gute wünschte, war es ein Moment der Nuancierungen und halbausgesprochenen Bedeutungen und das gräßliche Gefühl, einer Freundin liebevoll, aber widerstrebend die Hand zu reichen.
    Sie beschloß, Miles nach Los Angeles zu begleiten. Ihm war das Geld für Normal, Illinois, ausgegangen, und er versuchte jetzt, die Finanzierung von einem israelischen Gangster, der in L. A. lebte, zu bekommen. Oder waren es zwei Männer, sie wußte es nicht sicher, ein Israeli und ein Gangster, aber sie beschloß zu fahren. Sie mochte die Vorstellung nicht, aber sie dachte, sie führe aus einem Gefühl heraus, nicht mit sich im reinen zu sein oder was immer genau ihr Geisteszustand war – da war sie auch nicht ganz sicher.
    Und der Dichter, betrunken auf einer schmiedeeisernen Bank, der rumänische Besucher auf dem Dach, und wie eine Frau, die keiner kannte, sieben Filme verknipste und ohne ein Wort wiederging.
    In den drei Tagen, die sie dort war. Der Anlaß, der sie dort hinführte, war so klein und flüchtig, daß es eigentlich nicht darauf ankam, was sie sah und hörte, aber irgendwann in den drei Tagen erwähnte jemand die Watts Towers, und Klara fand, wahrscheinlich sollte sie sich die mal anschauen, weil sie seit Jahren davon wußte, und sie dachte, vielleicht ist ja noch Zeit, und dann vergaß sie es.
    Irgendwann später bekam sie einen Anruf aus New York, und wer war dran, einer, der ihr unbedingt Kritiken von Aceys Ausstellung vorlesen wollte, die ersten, die erschienen waren, und sie waren schlecht, sie waren bissig und hart, und Klara rief ein paar Leute an, die sagten, der Tratsch in der Stadt sei noch schlimmer.
    Sie beherrschten mühsam ihre Aufregung, sprachen im Tonfall des schwer atmenden Dokumentarfilms, bei dem man sein Vergnügen auf die formalen Pausen abstimmt.
    Sie warteten darauf, daß sie entsprechend reagierte. Dadurch fühlte sie sich wie die letzte Ratte. Sie warteten darauf, daß sie sich entsprechend freute, auf Befehl, unter pflichtschuldiger Einhaltung des Protokolls.
    Das war am vorletzten Tag. Am letzten Tag fuhr sie zu den Watts Towers. Miles setzte sie ab und sagte, er würde eine Stunde später wiederkommen. Sie hatte keine Ahnung. Sie wußte nicht, daß etwas, das derart im Gemeinplatz verstrickt war, so eine epische Qualität haben konnte. Sie wußte über die Towers nur, daß der Mann, ein Einwanderer, viele Jahre lang allein daran gearbeitet hatte, eine geradezu unvorstellbare Zahl von Jahren, und jedes Objekt benutzt hatte, das er irgendwie aufstöbern und ergattern konnte.
    Sie ging umher, berührte Dinge, rieb mit den Handflächen über die glänzenden Oberflächen. Sie war begeistert von den Mustern der in

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