Unterwelt
geschwungenen Flügeln, ausgefahrenen Landeklappen und abhebenden Rädern, und dann wurde das Fahrwerk eingefahren, und dann der rauchige Auswurf von hinterherwehendem schwarzem Alkohol und das Sturmröhren, das die Ebene erschütterte.
Der Navigator in seinem Loch, Charles Wainwright Jr., genannt Chuckie, ließ den Blick ständig über die zig Meßinstrumente und Schalter und Trennrelais schweifen, genügend Anzeiger für ein ganzes Leben, die sich da vor ihm und über ihm und neben ihm ballten – auf der Seite, die nicht von Louis Bakey, dem Radarschützen, besetzt war.
Chuckie ließ den Blick über die Schalter schweifen und bedrängte seinen Kumpel, riet ihm dringend zu einer Heirat mit einer anständigen Frau und Kirchgängerin.
»Fang gar nicht erst an«, sagte Louis. »Ich brauche keine Frau. Ich brauche keine Kirche. Du bist es doch, der das braucht.«
»Ich, Louis, ich habe schon eine Frau gehabt.«
»Die du geistig nicht ernstnehmen konntest.«
»Ich mußte durch meine ungeschickte Phase. Ich mußte ein paar Sachen zu Ende bringen«, sagte Chuckie.
Die beiden Männer waren Mannschaftskameraden seit Grönland, waren durch arktische Luftspiegelungen und Stürme von fünfzig Knoten geflogen. Im Vergleich dazu waren ihre derzeitigen Bombenflüge seltsam ereignislos oder jedenfalls auf einer anderen Ebene der Wirklichkeit, leichter zu projizieren als ein Film.
»Ich weiß, was du brauchst«, sagte Louis. »Eine Frau, die bereit ist, deine Geschichte als Versager zu akzeptieren. Du brauchst es, dieses Zeug bei jemand Unschuldigem abzuladen. Du willst ein süßes junges Weibchen, das geboren wurde, um dich zu verstehen. Wie das süße Ding auf der Nase unseres Fliegers hier.«
Louis sagte süßes Ding mit verächtlicher schwarzer Stimme. Kaum überraschend, schließlich war Louis ein verächtlicher Schwarzer. Nicht daß ihm das Spirituelle gefehlt hätte, worauf Chuckie auch ansprang. Man brauchte sich bloß seine Geschichten von den frühen Atomtests über Nevada anzuhören – Geschichten, die er Dutzende Male während der Jahre in den einsamen Kasernen von Grönland, Goose Bay und einigen abgelegenen Luftwaffenstützpunkten auf dem nordamerikanischen Kontinent erzählt hatte.
»Ich finde, du solltest sie nicht so hochnehmen.«
»Hochnehmen. Wie nett«, sagte Louis. »Lieber würd ich sie hochnehmen als rannehmen, ehrlich gesagt. Die ist mir, glaub ich, zu mager. Außerdem ist der Name falsch.«
»Was soll das denn heißen?«
»Bin ich's leid. Diese Bubis zu erziehen.«
»Was soll das heißen, Louis? Falscher Name.«
»Long Tall Sally.«
»Nach dem gleichnamigen Song.«
»Soviel weiß er immerhin. Himmel auch.«
»Denkst du, ich kenne nicht Little Richard und sein Ow-ow-ow-ow?«
»Dieser Bubi ist ja doch noch zu retten«, sagte Louis. »Aber eigentlich.«
»Hab seine Platten immer vor meinen Eltern versteckt. Oh baby woo baby. Ich war dreizehn.«
»Der alte Neger ist gerührt, Chuckman. Aber eigentlich geht's um folgendes, die Long Tall Sally im Song und die Long Tall Sally auf unserer Nase sind nicht dasselbe Weibchen der Spezies.«
»Wieso nicht? Guck mal hin. Sie ist lang, sie ist groß, sie hat super Beine, und ich finde, sie sieht aus, als könnte sie Sally heißen. Woo. We're gonna have some fun tonight.«
»Gonna have some fun tonight. Stimmt genau«, sagte Louis. »Bloß wirst du die Sally aus Little Richards Song in keinem Auto in keinem Drive-in-Kino sehen, wie sie mit 'nem kleinen Jungen wie dir ein bißchen rumknutscht.«
»Wieso nicht?« sagte Chuckie.
»Die Braut is schwarz, und die Braut is scharf.«
Chuckie schaute prüfend auf seinen Radar und rechnete den Kurs des Flugzeugs erneut aus, über ein paar tausend Meilen Meereskrümmung und Mango-Atoll hinweg.
»Was soll das heißen, die Braut is schwarz?«
»Weil der Song hat nämlich eine Geschichte, die irgendwie zwischen dem ganzen Woo und Whee verlorengegangen ist.«
»Diesen Song gibt's doch schon seit dreizehn, vierzehn, fünfzehn Jahren ungefähr?«
»Kommt hin«, sagte Louis.
»Und in all diesen Jahren ist mir noch keiner untergekommen, der die Hautfarbe der Titelfigur korrigieren wollte, ja?«
Der Pilot sagte im Plauderton über Funk: »Ob das wohl Manila da unten ist. Sieht doch hübsch aus, Navigator.«
Das war ein ziemlich unwitziger Seitenhieb auf das fensterlose Paar im Unterdeck, die nicht nur ohne Himmelsblick auskommen mußten, sondern auch noch heckwärts saßen, und die nicht nur heckwärts
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