Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
stellt die Dinge für den gelehrigen Sohn klar – wir fühlen uns unserer Familie verpflichtet, nicht eitlen Andenken und Souvenirs. »Wir kaufen deiner Mutter einen Wintermantel. Der Winter steht vor der Tür, und sie braucht einen dicken Mantel.«
    Cotter will sich männlich geben, dem Thema gewachsen. »Wieviel Geld zahlen die denn so?«
    »Keine Ahnung. Schlicht und ergreifend keine Ahnung. Aber die wollen diesen Ball. Sie werden ihn irgendwo ausstellen. Ich glaube, ein Brief ist das Richtige, per Einschreiben. Und wir tun deinen Schnipsel mit rein. Wie heißt es gleich, deine Einlaßkarte.«
    »Ich hab aber keine.«
    Sein Vater setzt den Blick auf, verletzte Überraschung – zutiefst verletzt.
    »Was willst du mir da antun?«
    »Ich hab keine Karte bekommen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich keine gekauft habe. Ich bin über das Drehkreuz gesprungen.«
    »Was tust du mir an, Junge?«
    »Ich hatte kein Geld für eine Eintrittskarte. Also bin ich drübergesprungen. Hätte ich Geld gehabt, hätte ich auch eine gekauft.« Und er fügt hilflos hinzu: »Ohne Moos nichts los.«
    Sein Vater bekommt seinen verlorenen Blick. Cotter sieht, wie sich eine Art Panik in seinen Augen staut, ein tiefes Schuldgefühl, das Cotter ausgelöst hat, weil er Geld erwähnt hat, das uralte Thema, daß sie pleite sind. Sein Vater ist auf dem Rückzug, seine Augen wenden sich nach innen, fliehen den Ort, den er gerade für sie beide erschaffen hat, die Welt der verantwortlichen Dinge. Dies ist ein furchtbarer Augenblick, einer jener Momente, da Cotter erkennt, daß er gerade einen Kampf gewonnen hat, von dem er gar nichts wußte. Er hat seinen Vater geschlagen, in die Niederlage getrieben, in einen entsetzlichen Rückzug.
    Er sagt: »Außerdem steht auf der Eintrittskarte gar nicht drauf, in welchem Abschnitt man sitzt, außer man hat einen reservierten Platz oder sitzt in einer Loge. Deshalb nützt sie gar nichts. Karten kannst du auf der Straße aufsammeln.«
    Sein Vater sagt: »Wir schlafen drüber. Wie findest du das?« Rappelt sich grimmig auf. »Heute abend können wir sowieso nichts mehr tun, gehen wir lieber ins Bett.«
    Cotter erwähnt den Brief nicht, den sein Vater schreiben soll, die Entschuldigung für die Schule. Vielleicht ist morgen früh alles wieder in Ordnung. Vielleicht ändert der Vater ja seine Meinung und will den Baseball nicht mehr verkaufen. Oder vergißt das Ganze. Cotter weiß, wenn er einen oder anderthalb Tage lang verhindern kann, daß sein Vater in der Sache irgendwas unternimmt, dann wird der es vollkommen vergessen haben. Das gehört zu den Dingen, auf die man in diesem Hause unausgesprochen zählt – man sitzt herum und wartet darauf, daß der Vater vergißt.
    Cotter steht am Fenster und schaut auf die Straße hinunter. In der Schule kriegt er manchmal zu hören, daß er aufhören soll, aus dem Fenster zu schauen. Dieser oder jener Lehrer. Die Antwort ist nicht da draußen, sagen sie ihm. Und er will immer erwidern, doch, genau da ist sie. Die einen schauen aus dem Fenster, die anderen essen ihre Bücher auf.
    Er zieht sich aus und legt sich ins Bett. Er schläft in Shorts und Polohemd. Seine Mutter kommt herein und sagt gute Nacht. Gutenachtsagen ist in Ordnung, Hauptsache, sie will nicht wissen, worüber er mit seinem Vater geredet hat. Das ist auch so eine Falle, die sich plötzlich aus heiterem Himmel auftut. Sie sagt, sie muß besonders früh aufstehen und zur Arbeit, eine lange U-Bahnfahrt runter bis zur 21. Straße, sie ist Näherin in einer lärmigen Fabriketage mit großen Ventilatoren – er hat letzten Sommer vier Stunden die Woche dort gearbeitet, Stoffreste zusammengekehrt und so Pappfässer rein- und rausgerollt, und sie haben Witze gemacht und ihn aufgezogen, vierzig oder fünfzig Frauen, und ein paar ziemlich direkte Sachen abgelassen.
    »Rosie weckt dich.«
    »Kann alleine aufstehen«, sagt er.
    »Wenn irgendwer auf der ganzen Welt geweckt werden muß, dann du.«
    »Die bewirft mich.«
    »Fang auf und wirf zurück.«
    »Dann kann ich mich nicht mehr anziehen. Sie schmeißt nämlich mit meinen Kleidern.«
    Seine Mutter beugt sich über das untere Bett und küßt ihn, das hat sie schon lange nicht mehr getan, und dann rubbelt sie ihm derb den Kopf, mit den Knöcheln, und kneift ihm in die Wangen, verdreht eine ganze Menge Fleisch, bis es wehtut, und er hört seinen Vater, der auf dem Weg in die Küche vorbeikommt, und hofft, daß er den verdammten Kuß nicht gesehen hat.
    Im Dunkeln denkt

Weitere Kostenlose Bücher