Unterwelt
amerikanischen Müllberge.«
»Mag Nick diese Arbeit eigentlich?«
»Das fragen Sie mich?« fragte er zurück.
»Ja. Das frage ich Sie.«
»Ich glaube, er mag sie mehr als ich. Ich glaube, er sieht sie unverfälschter. Konzepte und Prinzipien. Denn das ist Nick – Technologie, Logik, Ästhetik. Ich dagegen, mit meiner kleinen Gringo-Sicht der Dinge.«
»Sie ziehen in neue Büros um. Vielleicht hilft das Ihrem Selbstgefühl.«
»Ja, in einen großen Bronzeturm. Genau wie eine Investment-Firma oder ein Mediengigant. Natürlich sieht der Bau aus wie ein geometrischer Scheißhaufen, aber das ist doch nur passend, oder?«
Der Mann brachte ihre Drinks, und sie schauten sich in dem nahezu leeren Raum die Speisekarte an, sie redeten und schauten hinein, ohne wirklich hinzuschauen – hingeschaut und vergessen. Marian spürte den angenehmen Biß des Gins und fragte sich, was Brian an sich hatte, daß man so locker mit ihm reden konnte. Wahrscheinlich lief er die meiste Zeit voller Angst durch die Gegend, überlegte sie, versuchte aber nicht, es vor den Frauen zu verbergen, vor einigen jedenfalls nicht, zum Beispiel der seltenen Frau, die ihm hundert Meilen von daheim über den Weg läuft, so daß er sich vor Ehrlichkeit und selbstzerfleischender Einsicht fast überschlägt, all dem, was er den Jungs normalerweise nicht zeigt.
Vielleicht um es ihm gleichzutun. Sie wußte nicht, aus welchem anderen Grund sie ihm die Hundegeschichte erzählte, wenn nicht, um ihre eigenen Beichttalente vorzuführen. Sie genehmigten sich noch einen Drink und bestellten das Essen.
»Der Hund bellte und jaulte pausenlos, Dukey, aber die Kinder waren noch klein und liebten ihren Hund, und er bellte, er jammerte, er war nicht stubenrein, er schnappte nach anderen Kindern, und die Nachbarn beschwerten sich, und ich versuchte heimlich, ihn wegzugeben, aber keiner wollte ihn, also habe ich schließlich, ganz spontan – das ist ja grauenhaft, warum erzähle ich Ihnen das eigentlich?«
»Weil die Geschichte Sie verfolgt. Weil Sie Erbarmen in meinen Augen lesen.«
»Ja, es geschah spontan, panisch. Ich redete mir ein, dem Hund ginge es dreckig, er sei krank, irgendwas Unheilbares, und ich fuhr über die I-85, glaube ich, an einem Staudamm vorbei in die öde, steinige Wüste, viel weiter, als nötig gewesen wäre, und ich fuhr einfach immer weiter und weiter, dann hielt ich schließlich an und setzte Dukey raus und fuhr wieder nach Hause und erzählte Lainie, Kleines, der Hund ist weggelaufen, es tut mir so leid. Aber dabei ließ ich es nicht bewenden. Ich flippte völlig aus. Ich fing an, mit ihnen, mit beiden Kindern, durch die Straßen zu fahren, Tag für Tag, und aus den Fenstern riefen wir Dukey, Dukey, und das verfolgt mich allerdings, so als hätte ich es nur geträumt und würde ganz erleichtert merken, daß es gar nicht wirklich passiert ist.«
»Aber dann fällt Ihnen wieder ein, daß es doch passiert ist.«
Brian machte das einen Mordsspaß, also genoß sie es allmählich auch, und vermutlich, dachte sie, war es ihr genau darum gegangen.
»Wir fuhren an den langen Nachmittagen durch die toten Sommerstraßen. Ich höre ihre Stimmen noch. Dukey, Dukey. Sie waren fünf und drei, glaube ich. Riefen durchs Wagenfenster nach ihrem Hund.«
Fast lachte und weinte sie zugleich, betrachtete Brians Miene, der vor Vergnügen strahlte, und fühlte, wie jämmerlich und schändlich sie gehandelt hatte, und sie rauchte beim Essen in einem leeren Speisesaal, wo die Klimaanlage sich nicht rührte.
Er sagte: »Dukey, Dukey.«
»Eigentlich Duchino. Kleiner Herzog auf italienisch. Der Name war Nicks Idee. Wußten Sie, daß er halber Italiener ist?«
»Unser Nick? Wann ist das denn passiert?«
»Sehen Sie es ihm nicht an?«
»Ich höre es höchstens an der Stimme, die er manchmal nachmacht.«
»Was für eine Stimme?«
»Wie ein Gangster, der Drohungen ausstößt.«
»Was für ein Gangster?«
»Das ist so eine Stimme, die er nachmacht. Gekonnt, klischeehaft, ziemlich witzig.«
»Apropos Herkunft«, sagte sie. »Aber antworten Sie nicht, wenn Sie die Frage zu persönlich finden. Hatten Sie früher mal ein Kaninchen als Haustier?«
Sie amüsierten sich prächtig. Wenn er sprach, ertappte sie sich dabei, wie sie die möglichen Reaktionen durchging und startklar machte, eine nach der anderen, und manchmal mußte sie ihn einfach unterbrechen und beobachtete das Aufleuchten in seinem Gesicht. Sie erzählte ihm, daß sie in der Schule Hockey
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