Untitled
Giovanni.
Und ging hinaus. Er hatte den Eindruck, daß seine Nasenflügel rauchten wie die Nüstern eines wilden Stiers.
Immer noch Montag, 3. September 1877
Um vier Uhr nachmittags hielt Donna Trisìnas Kutsche vor dem angelehnten Gartentor. Sie schob ihren Kopf aus dem Fenster und betrachtete das Haus. Türen und Fenster waren verschlossen, aber sie traute der Sache nicht. Sie wollte sich auf keinen Fall blamieren. »Geh und klopf an die Tür«, sagte sie zu Michilinu. Der Junge legte die Zügel aus der Hand und lief zum Haus. Donna Trisìna sah, daß er mehrere Male klopfte, doch niemand öffnete. Couragiert stieg sie aus und ging zur Türe. Aus einer Tasche ihres Unterrocks zog sie einen kleinen Schlüssel – zwei hatte sie ihrem Mieter ausgehändigt, einen dagegen hatte sie behalten, man konnte ja nie wissen –, öffnete und trat ein. Der Fremde hatte noch nicht eineinhalb Tage in dem Haus gewohnt, und schon sah man das Durcheinander, das Männer gewöhnlich anrichten. Sie stieg ins Schlafzimmer hinauf: das Bett war noch nicht gemacht. So machte sie es für ihren Mieter, liebevoll, mit glattgestrichenen Bettüchern, daß sie aussahen, als wären sie mit Leim angeklebt. Sie öffnete die Türe zum stillen Örtchen, verzog den Mund wegen des Gestanks, der Nachttopf war voll. »Michilinu!«
»Cumanni«, rief der Junge aus dem unteren Zimmer, »zu Diensten!«
»Komm herauf, nimm den Nachttopf und schütte ihn hinterm Haus aus, in die Grube, und danach wäschst du ihn aus, mit Wasser aus dem Brunnen.« Während Michilinu tat, was seine Herrin ihm aufgetragen hatte, brachte Donna Trisìna das Eßzimmer in Ordnung.
»Michilinu!«
»Cumanni.«
»Nimm die Pakete aus der Kutsche und bring sie her.« Zehn Minuten später lagen auf dem Tisch ein Säckchen hundert Gramm feinen Kaffees, ein weiteres mit dreihundert Gramm Zucker, ein Pfund Mehl, ein Kilo feiner neapolitanischer Pasta, drei Mokkatassen aus Porzellan mit dazugehörigen Untertassen, ein echtes Silberlöffelchen, eine Rolle feinsten Mousselinestoffs für Blusen und Hemden, eine Bronzelampe.
Zufrieden blickte Donna Trisìna auf all diese Sachen. Am nächsten Tag würde sie auch noch zwei Leuchter bringen, schwere Kandelaber aus reinem Silber, mit sechs Armen. Was widerfuhr ihr nur? Das, was sie für diesen Mann empfand, halb ein Fremder und halb ein Einheimischer, hatte sie noch nie vorher empfunden.
Um fünf Uhr nachmittags, als sein Kopf vor Müdigkeit schon schmerzlich glühte, und seine Augen fast schon schielten, weil er ständig die Berichte der Unterinspekteure mit der Landkarte verglich, die er unter dem Schreibtisch gefunden hatte, als sein Daumen und Zeigefinger vom Drücken des Metallstäbchens der Rechenmaschine »Super velox«, die er immer in der Tasche bei sich trug, krumm geworden waren, entdeckte er endlich die Bedeutung der kleinen roten und blauen Kreise. Die roten Kreise zeigten an, wie oft eine Mühle wegen geringfügiger Vergehen mit einer Strafe belegt worden war, die blauen zeigten gröbere strafbare Handlungen an, wie die Änderung des Buchhaltungsjournals oder die nicht erfolgte Angabe von Mahlungen. Allesamt Vergehen, die gepfefferte Strafen zur Folge hatten oder die Schließung der Mühle für einen Zeitraum von einem Monat und länger, bis hin zur Verhaftung des Mühlenbesitzers. Nur daß zu den Fälligkeiten der Inspektion die roten und blauen Kreise eingezeichnet wurden und man dabei einem offensichtlich im voraus festgelegten Turnus folgte.
Das alles bedeutete, einfach ausgedrückt: die Mühlenbesitzer zahlten aufgrund einer Absprache einen vereinbarten Festbetrag an die Unterinspekteure. Diese wiederum hüteten sich, wirkliche Inspektionen durchzuführen; vielleicht kannten sie nicht einmal die Anschrift der Mühle und ließen so den Müllern völlig freie Hand, die Dinge nach ihren Interessen zu regeln. Das, was Bendicò unter dem Tischbein versteckt hatte, war eine richtiggehende Bestechungsgelder-Landkarte. Und sie war es, die der gottesfürchtige Advokat Fasùlo und der stellvertretende Polizeiamtsleiter La Mantìa nicht finden konnten, denn es stand außer Zweifel, daß sie dieses Papier gesucht haben – keineswegs Liebesbriefe, wie der Präsident behauptet hatte. Und jetzt? Was tun?
Eine Weile zermarterte er sich das Gehirn, dann fand er auch hierfür eine Lösung. Er mußte einen unumstößlichen Beweis in Händen halten, den er seinem Vorgesetzten zeigen konnte. Er stellte noch ein paar
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