Untitled
Rechnungen an, dann nahm er ein Blatt Papier mit dem Briefkopf des Finanzpräsidiums und schrieb:
»Montelusa, am 3. September 1877. Ich, der Unterzeichnete Bovara Giovanni, Hauptinspekteur der Mühlen im Dienste des Finanzpräsidiums von Montelusa, behaupte, daß bei der Besprechung mit den Unterinspekteuren, die von mir für den
18. September d. J. einbestellt sind, nachfolgendes sich ereignen wird:
Unterinspekteur Abbate Nicola wird in seinem Bericht erklären, ein schwerwiegendes Vergehen in der Mühle ›San Giuseppe‹ festgestellt zu haben; Unterinspekteur Brancato Ettore wird in seinem Bericht zwei kleinere Vergehen in den Mühlen ›Santa Lucia‹ und ›Cristo Re‹ festgestellt haben; Unterinspekteur Cumella Antonio ein kleineres und ein schwerwiegenderes, und zwar jeweils in den Mühlen ›San Gerlando‹ und ›San Calogero‹; Unterinspekteur Fragapane Filippo (hier ist anzumerken, daß ich nicht die Möglichkeit hatte, ihn kennenzulernen, da er sich wegen Krankheit nicht eingefunden hatte) zwei schwerwiegende Vergehen in den Mühlen ›Santa Rosalia‹ und ›Sant'Agata‹, sowie ein kleineres in der Mühle ›Santissimi Cosma e Damiano‹. Die übrigen Unterinspekteure werden in ihren Berichten keinerlei Vergehen feststellen.
Für diesen Brief, den ich an mich selbst adressiere, gilt das Datum des Poststempels.«
Er unterzeichnete den Brief, nahm ein Couvert ohne Aufdruck, schrieb seine Adresse beim Finanzpräsidium darauf und verschloß es. Er sah auf die Uhr, inzwischen war es sechs geworden.
»Caminiti!«
»Cumanni! Zu Diensten!«
»Ich gehe jetzt, zu Hause muß ich noch vieles in Ordnung bringen.«
»In den Bureaus ist sowieso keiner mehr.«
»Aber geht die Arbeitszeit denn nicht bis acht?«
»Sicher. Wem sagen Sie das? Um sechs ist hier drinnen aber niemand mehr.«
»Hört, ich muß zuerst noch zur Post und danach mir die Haare schneiden lassen. Was mach ich mit dem Pferd?«
»Das Pferd können Sie in der Skuderie lassen. Der Signor Finanzpräsident hat Anweisung gegeben, daß sie bis Mitternacht geöffnet sein soll, weil er gelegentlich die Kutsche braucht. Daher ist immer ein Pferdeknecht da.«
»Könntet Ihr mir wohl sagen, wo die Post ist?«
»Geben Sie mir doch den Brief, ich schicke ihn mit der anderen Amtspost weg.«
»Nein, das ist Privatkorrespondenz.«
»Na und? Der Signor Finanzbuchhalter Bartolino schreibt hier an seine Verlobte, der Beauftragte Crisafulli an seine Brüder, der…«
»Hört zu, mich interessiert nicht, was die anderen machen. Sagt mir nur, wo das Postamt ist.«
»Wie Euer Ehren wollen. Sobald Sie das Präsidium verlassen, gehen Sie nach links, die Straße hinunter, noch mal nach links und da ist die Post.«
»Danke. Und der Friseur?«
»Der beste im Ort. Sie wissen, wo das Hotel Gellia ist? Zwei Türen daneben, ›Salon Ingrassia‹ steht darüber.«
Der Sakristan läutete die Glocke, und Padre Carnazza trat aus der Sakristei für die Vesperandacht. Er machte drei Schritte zum Hochaltar, blieb stehen, führte eine Hand ans Herz, taumelte nach rechts und nach links und sank in die Knie.
»Allerheiligste Gottesmutter! Unwohl fühlt sich unser Padre Carnazza!« rief sogleich eine Gemeindegläubige hysterisch. Zu viert oder fünft, Männer wie Frauen, stürzten sie auf die andere Seite der Balustrade und fingen Padre Carnazza auf, der auf den Boden zu fallen drohte.
»Was ist denn, Padre?«
»Wie fühlen Sie sich, Padre?«
»Jagen Sie uns bloß keinen Schrecken ein, Padre!« Padre Carnazza machte den Eindruck, als würde er ersticken, er brachte kein Wort hervor. »Luft! Luft!« sagte einer. »Ruft den Doktor!« ein anderer.
Die beiden Stimmen wurden von Signora Cuccurullo Ersilia, verheiratete Imbrò, noch übertönt, einer Frau, die zur Tragödie neigte und einmal gar glaubte, ein Erdbeben habe sich ereignet, während ihr Gatte lediglich einen majestätischen Furz losgelassen hatte. »Nichts mehr! Aus! Nichts mehr! Er ist tot.« Und sie stimmte mit äußerst schriller Stimme einen Hymnus auf eine aus der Welt scheidende Seele an, geschrieben und in Musik gesetzt von Padre Carnazza höchstselbst, der sich hin und wieder an spirituellen Dingen delektierte:
»Welt, du hast mir nicht gefallen,
Jetzt bin ich schon nicht mehr dein!
All mein Lieb, mein Herzenswallen
Gilt dem Jesusherren mein.«
»Das reicht! Mir geht's wieder besser!« rief der Diener Gottes, der an Aberglauben litt und sich deshalb
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