Untitled
war Padre Carnazza nur verletzt, und Bovara hielt ihn für tot. Das bedeutet, daß der Pfarrer sich wieder aufgerappelt hat, wegging und sich medizinisch versorgen ließ. Das wird eine ganz schön deftige Wichserei für den, der auf ihn geschossen und ihn für tot gehalten hat, wenn er ihn leibhaftig wieder vor seinen Augen auferstehen sieht.« Don Memè fing an, wie ein Schloßhund zu heulen und zu jammern.
»Fühlen Sie sich nicht wohl?«
Der Advokat dachte schon, er habe es wohl ein bißchen zu weit getrieben mit dem Angst-Einjagen. Don Memè seinerseits fühlte sich wie von Türkenscharen umzingelt. Er war sich sicher, daß er den Pfarrer mitten in die Brust getroffen hatte. Möglich, daß er, nach der tödlichen Verwundung, ein paar Schritte gemacht hat, nachdem Bovara ihn gefunden hatte, und in einer Schlucht geendet ist. Dieser Gedanke tröstete ihn. »Signor Advokat, ich wollte Sie etwas fragen.«
»Ja, bitte.«
»Für den Fall, daß Padre Carnazza tot ist, würde dann, weil er ja keine Erben hat, alles an mich zurückfallen? Besteht da Hoffnung?«
»Da muß ich genauer drüber nachdenken. So, wie die Sache jetzt liegt, könnte ich Ihnen darauf nicht antworten. Aber zuerst…«
»Zuerst?…«
»Müssen wir sicher sein, daß Padre Carnazza auch wirklich tot ist. Meinen Sie nicht?«
Vor dem Holztor stieg der Polizist, der die Kutsche gelenkt hatte, herunter, öffnete es, und stieg wieder auf. Die Kutsche fuhr weiter und hielt vor Giovannis Haustüre.
»Wir sind da«, sagte La Mantìa.
Es herrschte dichtes Dunkel. Giovanni suchte in der Tasche nach dem Schlüssel, dann fand er ihn. »Buonanotte«, sagte er.
»Also, abgemacht: morgen früh kommen wir gegen acht Uhr vorbei und holen Sie ab«, sagte Spampinato. Giovanni wollte aufschließen, merkte aber, daß die Türe offen war. Er mußte wohl vergessen haben, sie abzuschließen, manchmal passierte ihm das. Er ging hinein, bewegte sich hinüber zum Tisch, auf dem die Lampe stand, stolperte aber und fiel mit einem Aufschrei hin.
Spampinato und La Mantìa, die gerade wieder in die Kutsche steigen wollten, liefen schnell ins Haus. Sie sahen nichts.
»Was war denn?« fragte Spampinato.
Giovanni antwortete nicht, er hatte angefangen zu weinen.
La Mantìa zündete ein Schwefelholz an. Im schwachen Licht erkannten sie, daß Bovara gestolpert und gefallen war. Unter ihm lag die Leiche von Padre Carnazza.
Faltordner B
POLIZEIDIENSTSTELLE VON MONTELUSA
An den Hochgeehrten
Signor Polizeipräsidenten
Montelusa
Montelusa, am 4. Oktober 1877
BETREFF: .
Bericht über die Festsetzung des Giovanni Bovara
Der vorliegende Bericht folgt dem gestrigen, welchen der unterzeichnete Leiter der Polizeidienststelle Ihnen nach dem Mittagessen zugeleitet hat. Im Verlaufe der Stunden nach besagtem Mittagessen haben der Unterzeichnete und sein Stellvertreter La Mantìa dem Bovara mitgetheilt, die Leiche des Carnazza an der von ihm selbst bezeichneten Stelle nicht gefunden zu haben. Dem setzte der Bovara kein Wort entgegen, sondern verfiel in einen Zustand von Unwohlsein, weshalb ein von uns herbeigerufener Arzt ihm einen Schlaftrunk verabreichte, mit dem Ziele, seine Nerven zu beruhigen. Schließlich wieder erwacht, änderte der Bovara nichts an dem, was er uns zuvor hinsichtlich der Abfolge der Umstände bereits mitgetheilt hatte. Nach Einbruch des Abends entschlossen sich der Unterzeichnete und sein Stellvertreter La Mantìa, denselben, der nicht in der Lage war, alleine zu reithen, mit der Kutsche bis zu seinem Hause auf vigatinischem Gebiet zu accompagnieren. Dieses Haus wurde ihm von der Witfrau Cìcero Teresina vermietet. Bei schon nachtschwarzer Dunkelheit dort angekommen, verabschiedeten wir uns und standen eben im Begriffe, wieder die Kutsche zu besteigen, als wir einen lauten Schrei hörten, welcher aus dem Inneren des Hauses drang, in welches der Bovara sich gerade begeben hatte. In Anbetracht der vorstehend erwähnten Dunkelheit fanden wir uns nicht gleich zurecht. Da hörten wir, daß der Bovara in lautes Schluchzen ausgebrochen war. Nach Entzünden einer Lampe entdeckten wir, daß der Bovara über die Leiche des Carnazza gestolpert war, welche dortselbst lag.
Nachdem wir den Bovara mit Mühe hochgehoben und auf einen Stuhl gesetzt hatten, legten wir ihm keine Handschellen an, da er ohnehin einem Jammerlappen glich.
Don Carnazza war mit einem Schuß aus einer Feuerwaffe umgebracht worden, welcher ihn in der oberen Brust
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