Untitled
fragt: Was ist dieser Mann für ein Typ? Sie meint damit Frederick, und ich antworte ihr wahrheitsgemäß, dass ich keine Ahnung habe. Ich kenne seinen Namen, der sagt mir nix und that’s it.
Aber sie haben ihn doch gegoogelt?
Ich erzähle ihr, dass Julia ihn mir als mir ähnlich beschrieben hat: dunkelhaarig, gut aussehend – versehen mit der Bitte: Bitte nicht picture-googeln!, und das einst mit einer Dringlichkeit, die selbst Persephone antiautoritär erscheinen ließe. Woraufhin ich es dann auch gelassen habe.
Sie schreibt nicht mehr. Schaut mich nur an. Die Bögen ihrer Brauen bleiben so, ihre Pupillen recht eng. Julya wirkt amüsiert.
Ich erzähle ihr, dass ich seither den Buchstaben J fotografiere, dass ich auf meiner Festplatte bereits Hunderte und Aberhunderte dieser Aufnahmen lagere; dass ich mir diese Dateien anschaue immer und immer wieder und dass sie mir Ruhe verleihen, Gewissheit – ich fange an zu weinen, ich sage: Frau Achermann, ich bin sehr krank. Ich leide an der Liebe zu Julia, sie schnürt mir die Luft ab, sie verdrängt alles aus mir. Ich bin wie diese Person aus dem Film von Baz Luhrmann, die eine schwarze Pistole aus ihrer Handtasche zieht und sich an die Stirn drückt: Ich sehne mich nach dem Tod!
Die Therapeutin beendet ihr Kritzeln, schaut mich an und sagt: Nächsten Montag, acht Uhr dreißig? Ich nicke und ziehe mich an. Was, wenn nicht das?
London
In den vergangenen Wochen hat sich zwischen Julia und mir ein erstaunliches Phänomen gebildet. Ich kann fühlen, was sie tut. Und sie kann fühlen, was ich mache. Das hat Vorteile. Es wirkt sich aber auch belastend aus. Ich wache sonntags auf und spüre, dass sie sich in einem anderen Bett befindet. Erhalte ich für Stunden an einem Freitagabend keine Nachricht von ihr, erscheint vor meinem inneren Auge eine Szene häuslicher Gemütlichkeit zu zweit. Mein Gehirn tut den Rest. Ich lebe mit ihnen. Ich will das eigentlich nicht. Das heißt: teilweise nicht. Ich will, dass dieser Typ, der mir gesichtslos bleiben soll, aus diesen Bildern verschwindet und durch mich ersetzt wird. Wie mache ich das?
In London wohne ich in Brown’s Hotel in Mayfair – notabene das erste Hotel in London, es gehört mittlerweile zur Rocco Forte Group und die Zimmer sind wie in allen anderen Häusern der Kette in diesem überkandidelten Porno-Stil eingerichtet, der die Gäste sachte überfordert und dabei vollkommen willenlos macht. Der Anlass meiner Reise ist die Eröffnung des Louis Vuitton Flagshipstores auf der New Bond Street. Der wahre Grund für meine Reise ist, dass ich es zunehmend unerträglich finde, in derselben Stadt wie sie zu leben, ohne sie sehen zu dürfen. Dabei bringt die räumliche Distanz keinerlei Linderung, sondern macht mich derart unglücklich – es sind körperliche Schmerzen, die ich erleide. Ich weine dann ständigund scheinbar ohne Grund. Aber in der Fremde spricht mich keiner an. Ich darf und kann tageweise den Mund halten und es gibt nichts, was mich von meinem Denken an Julia trennt. Die Zeit vor sowie nach dem Ereignis selbst wurde großzügig kalkuliert, sodass mir mehr als ausreichend übrig bleibt, um mich auf meinem Zimmer zu verbarrikadieren, beim Roomservice die odd Spaghetti with Redsauce zu bestellen und dazu reichlich Sancerre, den Julia am liebsten trinkt, weil er, wie sie sagt, schmeckt wie das Ablutschen eines Diamantencolliers. Nach zwei Tagen bin ich derart fix und fertig, dass ich während des Fernsehens laut losheule, wenn nur irgendwo von einer Handpuppe des Kinderprogramms ein J ins Bild gerückt wird. Zudem hat Julia heute Geburtstag, also wage ich mich hinaus vor die Hoteltüre und damit gen Regent Street. Mein Ziel ist der Flagshipstore von Uniqlo, wo ich für uns karierte Flanellhemden kaufen will und dazu einige Teile aus der +J-Kollektion, die Jil Sander seit einiger Zeit für diesen japanischen Discounter entwirft. Und zunächst denke ich, es liegt an der für diese Jahreszeit ungewöhnlichen Hitze, dass ich eventuell zu dick angezogen bin, aber dann merke ich, dass meine Schwäche von innen her zunimmt: Mir wird, als ob jemand mir allmählich die Lebensenergie links herumdrehend entzieht. Ich schaffe es gerade noch in das dreistöckige Gebäude des Modehauses hinein, wo ich, im Untergeschoss, auf einer der Wartebänke zusammensinke und nichts mehr weiter tun kann. Das iPhone vibriert. Da steht eine Nachricht von Julia: Was ist mit dir? Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl.
Julia ist für mich zu
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