Untitled
›Mimenspiel‹, das erzählt, daß zwei Sizilianer in einem fernen fremden Land eingesperrt wurden. Man brachte sie in getrennten Zellen unter, damit sie sich nicht unterhalten und somit auf einen gemeinsamen Verteidigungsplan verständigen konnten.
Am folgenden Tag wurden sie vor den König gebracht, der das Urteil über sie sprechen sollte. Bei dieser Gelegenheit konnten sich die beiden einen schnellen Blick zuwerfen. Das hatte der Erste Minister des Königs gesehen, der ebenfalls Sizilianer war, und er rief:
»Majestät, es ist alles vergebens, sie haben geredet!«
Wenn die Entfernung vom Freund keine von Worten überschwellenden Pausen und keine von komplexen Sätzen erfüllten Blicke zuläßt, ist das der Augenblick, in dem der Sizilianer sich gezwungen sieht, zu Papier und Feder zu greifen, um die Entfernung durch das Unmaß, die Fülle, die beinahe schon schamlose Darstellung seiner Gefühle aufzuheben.
Eine Konstante der sizilianischen Freundschaft ist die Pflicht, die einem im Erahnen dessen obliegt, wie der andere sich unter bestimmten Voraussetzungen verhalten wird, ohne daß darüber vorher eine Absprache stattgefunden hätte: Kopf und Herz des einen müssen in perfektem Einklang mit dem Kopf und dem Herzen des anderen handeln, die Gleichzeitigkeit muß absolut sein, die geringste Auslassung, der geringste Vorgriff, die geringste Verzögerung kann einen Riß hervorrufen, der im Lauf der Zeit unweigerlich zu einem unüberbrückbaren Abgrund wird.
Zudem: die gegenseitige Hingabe kann keinerlei Zurückhaltung oder Schattenbereiche oder Geheimfacher zulassen; wenn es sie gibt, beschränken sie die Fülle der Hingabe und machen gleichzeitig das Mißverständnis deutlich, das dieser fälschlich als Freundschaft bezeichneten Beziehung zugrunde liegt.
Kurz, die sizilianische Freundschaft ist eine schwierige Kunst und vielleicht sollte man ihr einen anderen Begriff geben, Wahlbrüderlichkeit oder Wahlblutsverwandtschaft. Zwischen zwei sizilianischen Freunden entsteht so etwas wie ein Zauberkreis, der die anderen, die Ereignisse der Welt und auch der Geschichte außen vor läßt.
Das beweist ein Brief Pirandellos an Martoglio vom 21. März 1919. Es ist die Zeit, in der sich Martoglio kämpferisch für die Schaffung eines »Mediterranen Theaters« einsetzt, das eine Neubewertung der Kultur Süditaliens in den Jahren in Gang bringen soll, in denen die Herrschaft Giolittis, das allgemeine Wahlrecht, die sozialen Errungenschaften paradoxerweise (das heißt eigentlich überhaupt nicht paradoxerweise) das wirtschaftliche Mißverhältnis zwischen dem Norden und dem Süden des Landes nur noch stärker betonen. Martoglios nur teilweise verwirklichtes Projekt zerbricht sehr bald schon an der Realität der Lohnzettel und der ökonomischen Verpflichtungen. Martoglio fühlte sich von seinem Freund nicht völlig unterstützt. Und dieser schreibt ihm, um jede Wolke zwischen uns zu vertreiben, die - sofern sie sich weiter verdichten kann - am Ende unsere schöne brüderliche Freundschaft verkümmern lassen könnte. Und er schließt seine Mitteilung mit einem brüderlichen Kuß. Doch das Unheil ist bereits eingetreten. Der Verhaltenskodex ist nicht respektiert worden, das Gedächtnis hat die Anomalie registriert: die Erklärungen, die beiderseitigen Rechtfertigungen unterstreichen, vergrößern nur den bereits erfolgten Bruch. Die Mißachtung und Übertretung des Kodex sind der Beginn einer Rückbildung, gegen die die sizilianische Freundschaft nicht ankämpfen kann, indem sie Antikörper produziert. In demselben Brief steht ein beispielhafter Satz: Unauslöschlich bleibt mir ein Wort im Gedächtnis haften, das du gesagt hast… Dieses Wort, lieber Nino, hättest d u mir nicht sagen dürfen. Unauslöschlich. Ein Wort. Aber dieses eine Wort genügt, um diese Schwächung, diesen Abfall der Spannung, diese Enttäuschung, doch vor allem den unterschwelligen Groll in dem hervorzurufen, der sich verraten fühlt. Der andere hat nicht ›verstanden‹. Aber das hätte er tun sollen, welchen Sinn hätte es sonst gehabt, sich ganz hinzugeben, welchen Wert hätte sonst die Komplizenschaft des Schweigens und der Blicke?
In diesem letzten Gymnasialjahr erweist sich Luigi, trotz
der Aufmerksamkeiten seines Schulfreundes Carmelo Faraci, nicht als aufmerksamer Schüler. Er besucht den Unterricht nicht, er scheint dem Schulunterricht keinerlei Bedeutung abzugewinnen, so daß sogar die Lehrerkonferenz lange darüber
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