Untitled
richtigen Leben war Donna Caterina bald hinter diese Beziehung gekommen und litt still. Wie hieß es doch im Verhaltenskodex Pitrès für die sizilianische Frau? ›Die sizilianische Frau gehorcht und liebt ihren Mann, auch wenn er es nicht verdient hat.‹ Trotz des würdevollen Schweigens von Donna Caterina erfahren alle Verwandten von der Sache und scharen sich zum weitaus größten Teil um die Frau.
Die Beziehung beleidigt den Vierzehnjährigen nicht nur, für ihn stellt sie auch den Beweis, sofern es seiner denn noch bedurft hätte, für die zwischen ihm und seinem Vater bestehende Andersartigkeit dar, einem Mann, der sogar fähig war zu ›verraten‹. Was er tun wird, um ihn für den Verrat zu bestrafen, erzählt er in der Novelle Rückkehr (Ritorno), die 1923 veröffentlicht wurde. Sie folgt sehr genau den Geschehnissen, die Pirandello im übrigen auch seinem Biografen Nardelli gegenüber voll und ganz bestätigt. Nur daß in der Novelle nicht die gleiche objektive Erbarmungslosigkeit gegenüber der Vaterfigur herrscht, wie sie noch in dem Schauspiel Das Recht der anderen deutlich wahrnehmbar ist. Hier - so wollen wir das mit einer von Eugenio Montale geschaffenen Metapher ausdrücken - scheint ›ein dünner Streifen von Erbarmen‹ auf, ein akzentuiertes Verständnis für die menschlichen Beweggründe, was nicht nur auf die größere Reife zurückzuführen ist, auf die Weisheit des Alters, sondern auch, wie wir noch sehen werden, auf wesentlich tiefer reichende Gründe, die sich immer von seiner alten Vorstellung herleiten, ein vertauschter Sohn zu sein.
DER ZWEIKAMPF
Keiner der Verwandten oder Freunde und noch viel weniger Donna Caterina erzählt Luigi, was eigentlich vor sich geht, doch er spitzt die Ohren, doch er braucht nicht lange, erfahren wie er ist, um aus den immer geröteten Augen der Mutter, aus den aufgeschnappten, zwischen Onkeln und Tanten, Cousinen und Cousins halb ausgesprochenen Wörtern zu begreifen, daß sein Vater sich mit seiner früheren Verlobten eingelassen hat. Nun geht er Don Stefano nach, wenn dieser morgens das Haus verläßt, unter anderem hält sich der Vater mehr als sonst üblich in Palermo auf. Warum tut er das? Was will er denn noch weiter herausfinden als das, was alle anderen ohnehin schon wissen? Sicher will er etwas tun, das in gewisser Weise als Gegengewicht zu dem der Mutter zugefügten Affront angesehen werden soll, doch jetzt sucht er die Gelegenheit eines direkten Zweikampfes mit dem Vater, indem er eine Schwachstelle bei ihm ausnützt, um ihm zu sagen und spürbar vor Augen zu führen, daß er, Luigi, anders sei.
Und so entdeckt er, daß der Vater und seine Geliebte sich jeden Sonntagvormittag in dem kleinen, nur der Mutter Äbtissin des Klosters von San Vincenzo, einer Tante von ihnen, vorbehaltenen Parlatorium trafen. Sie gaben vor, ihr einen Besuch abstatten zu wollen, und die alte Äbtissin, die möglicherweise aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehung die zärtliche Intimität dieser Zusammenkünfte entschuldigte…
Alles entspricht der Wirklichkeit: Das Kloster war das von Origlione, und Mutter Francesca, die Äbtissin, war eine Tante von Don Stefano, eine hochgewachsene schöne Frau, die ganz sicher nicht, wie Gaspare Giudice bemerkt hat, zum Schlag der von Alessandro Manzoni ersonnenen Nonnen von Monza gehörte. In diesen Sonntagsbesuchen sah sie höchst wahrscheinlich nichts Böses, und doch mußte es wohl offenkundig sein, daß die beiden eine tiefere Beziehung miteinander hatten. Und ganz sicher sollten sie sich an einem noch geheimeren Ort des Parlatoriums treffen, wo im übrigen die Äbtissin hinter einem Sprachgitter immer mit ihnen sprach oder sich nur für wenige Minuten entfernte.
Eines Vormittags betrat Luigi ungesehen das Kloster und konnte das Verhalten der beiden Liebenden beobachten.
Sie fütterten sich, ein Bissen für dich, ein Bissen für
mich, mit dem unschuldigen Gebäck der Abtei und tranken aus winzigen Gläsern den bellen Rosolio mit Zimmetessenz, ein Schlückchen für dich, ein Schlückchen für mich. Und lachten. Und auch die alte Tante Äbtissin… bekam sich hinter dem doppelten Sprachgitter gar nicht mehr ein vor Lachen.
Es ist ein Augenblick: dieses Gelächter trifft Luigi wie Messerstiche. Und wie eine Furie betritt er das Parlatorium. Doch Don Stefano hat gerade noch Zeit, sich hinter einem Vorhang zu verbergen, der zu kurz ist und die Schuhe frei läßt. Erschreckt hängt die Äbtissin wieder das
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