Untitled
zweiter, auf den zweiten ein dritter, und dann zehn, zwanzig, Hunderte, verteilt über die gesamte Ladestrecke und über den ganzen Tag, wie Schußspulen eines Webstuhls, von der Laufwaage oder dem Fuhrwerk zum Boot und wieder zurück, ohne je eine Klage, sich Mut zusprechend, sich schubsend, manchmal auch herumalbernd.«
Luigi steht an der Laufwaage, wiegt den Schwefel ab, der in den Korb kommt, und führt darüber Buch. Er darf sich keinen Augenblick ablenken lassen, er steht ununterbrochen neben der Waage unter einer erbarmungslosen Sonne, inmitten lautstarker Stimmen, Flüche und Verwünschungen. Wenn er abends nach Hause kommt, hat er nicht einmal mehr Lust, die Kleider zu wechseln oder sich zu waschen, gelb vom Schwefel wie er ist, muß er sich in einem Sessel erst einmal ausstrecken, wieder zu Atem kommen und wenigstens ein bißchen von der Anspannung und Müdigkeit abschütteln.
Im Hafen beobachtet Don Stefano, wenn er kann, seinen Sohn, schaut ihm zu, wie er sich verhält, und gelangt mehr und mehr zu der Einsicht, daß das alles nichts für ihn ist, sein Sohn ist für diese Arbeit, für dieses Leben der Verdammten nicht geschaffen. Und Luigi weiß seinerseits nicht so genau, ob er wegen dieser Niederlage nun weinen oder sich freuen soll, denn einerseits ist sie zwar ein offenkundiger Beweis für seine Existenz als vertauschter Sohn, andererseits aber könnte sie auch die endgültige Loslösung von Lina bedeuten.
Es sind drei entscheidende Monate für Luigis Zukunft. Sciascia hat darüber geschrieben: »Ohne das Abenteuer des Schwefelhandels hätte es das Abenteuer des Schreibens, des Erzählens nicht gegeben.«
Und Gaspare Giudice: »Hier, in Porto Empedocle, mißt Pirandello mit neunzehn Jahren die eigene Teilnahmslosigkeit an den praktischen Unternehmungen der Welt, an der konkreten Eigenschaft der Dinge in ihrer ganzen Tiefe aus.«
Die Lage, in die Luigi sich gebracht hat, läßt keinen leichten Ausweg erkennen. Den wird ausgerechnet Don Stefano finden, der mit Sicherheit eine Übereinkunft mit Linas Vater gefunden hat. Luigi wird sich an der Universität immatrikulieren, und wenn er erst einmal promoviert hat, dann soll er auch heiraten dürfen. Mit seinem Geld steht Don Stefano, der inzwischen wieder zu Vermögen gekommen ist, für den guten Ausgang dieser gesamten Angelegenheit ein. Linas Familie stimmt dem zu, und so hat Luigi konkret nichts mehr mit Schwefel zu tun und kann wieder dem geliebten Rascheln des Papiers seiner in Palermo zurückgelassenen Bücher zuhören.
Sein Vater hat ihm gesagt, er solle sich in Jura einschreiben, und Luigi folgt prompt, schreibt sich aber auch in Literatur ein.
Doch fast unmittelbar nach seiner Rückkehr beginnt die Krise mit Lina.
DIE LOSLÖSUNG
Die Leidenschaft, die so glühte, als sie verborgen war, Ärgernis hervorrief und belächelt wurde, hatte plötzlich ihre ganze Inbrunst verloren…
Doch es geht nicht nur um die Abnahme der Leidenschaft. Sofern es diese Abnahme gibt, besteht sie ausschließlich auf Luigis Seite, denn Lina, in all ihrer Wärme und Sinnlichkeit, hängt immer mehr an ihm. Tatsache ist, daß Luigi zu der Einsicht gelangt, daß diese ganz auf Sinnlichkeit eingestellte Beziehung ein ziemliches Hindernis für seine Vorsätze und Absichten ist, die er immer deutlicher erkennt: er will Schriftsteller werden, weil sie, die Schriftstellerei, das eigentliche Ziel des vertauschten Sohnes ist. Langsam verändert Lina in Luigis Blick ihre äußerliche Gestalt, sie verwandelt sich beinahe in eine Feindin, in eine Zauberin, die Zauberkünste vollführt, um ihn an sich gebunden zu halten.
Alcina, du grausame Fee, du andere, läch'le mir von ferne so nicht zu…
Er muß sich von Alcina entfernen, um jeden Preis vor ihr fliehen, den magischen Kreis, in dem sie ihn gefangen hält, durchbrechen. Er beginnt, einen Vorwand nach dem anderen hervorzuholen, etwa, daß die Nähe der Verlobten ihm die Unbeschwertheit nehme, die er für das Studium notwendig brauche, daß er fern von Palermo sein Studium schneller durchziehen und schneller promovieren und damit auch die Hochzeit beschleunigen könne… Beim geringsten Hinweis auf die Möglichkeit einer vorge zogenen Eheschließung sind Linas Vater und Mutter (die Luigi rundheraus als al te zanksüchtige Hexe be zeichnet) gleich damit einverstanden, daß der künftige Schwiegersohn auch durchaus in Rom promoviert, sofern es nur bald ist. Sicher war Lina von allen am wenigsten
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