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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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was Carrie am besten gefiel, hing über dem Stuhl. Es war Jesus, der eine Schar Lämmer einen Hügel hinaufführte, der ebenso grün und weich aussah wie der Golfplatz am Fluß. Die anderen Bilder waren nicht so ruhig: Jesus wirft die Geldwechsler aus dem Tempel; Moses schleudert die Tontafeln auf die Anbeter des Goldenen Kalbs; Thomas, der Zweifler, legt seine Hand in Jesus’ Seitenwunde (oh, diese schreckliche Faszination dieses Bildes und die Alpträume, die sie als Kind davon bekam!); Noahs Arche über den verzweifelten, ertrinkenden Sündern; Lot und seine Familie auf der Flucht vor dem großen Brand von Sodom und Gomorrha.
      Auf einem kleinen Tisch aus Fichtenholz waren eine Lampe und ein Stoß Traktate. Das oberste Heftchen zeigte einen Sünder (er war leicht an dem verzweifelten Gesichtsausdruck zu erkennen), der versuchte, unter einen großen Felsbrocken zu kriechen. Der Titel verkündete: Nie wird der Fels ihn verbergen an JENEM TAG.
      Aber beherrscht wurde das Zimmer von einem riesigen GipsKruzifix an der gegenüberliegenden Wand, ganze anderthalb Meter hoch. Momma hatte es eigens per Luftpost aus St. Louis kommen lassen. Der darauf angenagelte Jesus war erstarrt in einem grotesken, muskelverzerrenden Schmerzzustand, mit herabgezogenen Mundwinkeln. Seine Dornenkrone ließ scharlachrote Blutrinnsale über die Stirn und Schläfen rinnen. Die Augen waren nach oben verdreht. Beide Hände waren von Blut überströmt, und die Füße standen auf einer kleinen Gipsplattform. Dieser Korpus hatte Carrie ebenfalls endlose Alpträume verschafft, in denen sie der verstümmelte Christus durch Traumkorridore zerrte, Hammer und Nägel hielt und sie bat, ihr Kreuz auf sich zu nehmen und ihm zu folgen. Erst seit neuestem hatten sich diese Träume in etwas weniger Verständliches, aber zunehmend Düsteres verwandelt. Es schien sich nicht um Mord, sondern um etwas viel Schrecklicheres zu handeln.
      Allein.
      Der Schmerz in Beinen, Bauch und Unterleib ließ ein wenig nach. Sie glaubte jetzt nicht mehr, daß sie verblutete. Das Wort war Menstruation, und plötzlich schien es ganz logisch und unvermeidlich zu sein. Es war ganz einfach ihre Zeit. Sie kicherte, ein seltsames, erschreckendes Kichern in der ernsten Stille des Wohnzimmers. Es klang wie in einer Quiz-Show. Auch Sie können während Ihrer Zeit eine Reise nach den Bermudas gewinnen. Wie die Erinnerung an die Steine schien auch das Wissen um die Menstruation immer dagewesen zu sein, blokkiert, aber geduldig wartend.
      Sie drehte sich um und ging schleppend in den oberen Stock. Das Badezimmer hatte einen Holzboden, der fast weiß geschrubbt worden war (das Unreine ist gottlos), und eine Badewanne auf Füßen. Roststreifen zeigten sich unterhalb des verchromten Hahns, und es gab auch keine Duschvorrichtung. Momma sagte, Duschen sei Sünde.
      Carrie ging hinein, öffnete den Handtuchschrank und begann gründlich, aber vorsichtig zu suchen, ohne irgend etwas vom Platz zu rücken. Mommas Augen waren scharf.
      Die blaue Schachtel stand ganz hinten, hinter den alten Handtüchern, die sie nicht mehr benützten. Die Silhouette einer Frau in einem langen, luftigen Kleid war auf der einen Seite zu sehen.
      Sie nahm eine der Binden heraus und betrachtete sie neugierig. Sie hatte ganz offen den Lippenstift damit abgewischt — einmal sogar an einer Straßenecke. Jetzt erinnerte sie sich (oder bildete sich das ein) an die überraschten, entsetzten Blicke. Sie wurde knallrot. Sie hatten ihr das gesagt. Die Scham verwandelte sich in Ärger.
      Sie ging in ihr winziges Schlafzimmer. Da waren noch viel mehr religiöse Bilder, aber da gab es mehr Lämmer und weniger Szenen göttlichen Zorns. Ein Fähnchen der Schule steckte über ihrem Ankleidetisch. Auf dem Ankleidetisch selbst standen eine Bibel und ein Plastik-Jesus, der im Dunkeln leuchtete.
      Sie zog sich aus — zuerst die Bluse, dann ihren verhaßten, knielangen Rock, ihren Slip, ihren Strumpfgürtel, dann noch ein Unterhöschen, Strumpfbänder, Strümpfe. Sie betrachtete den Berg schwerer Wäsche voller Abscheu. In der Schulbibliothek gab es einen Stapel alter Nummern der Zeitschrift Seventeen, und die blätterte sie oft durch. Die Modelle sahen so leicht und frisch aus in ihren kurzen, neckischen Röcken, in Hosen und spitzenbesetzter Unterwäsche mit Stickereien. Natürlich war lose eines von Mommas Lieblingsworten (sie wußte, was Momma sagen würde, oh, gar keine Frage), um sie zu beschrei ben. Und es

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