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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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duftenden Dunkelheit des angehenden Sommers.

    Zweiter Teil

    BALLNACHT

    Sie zog das Kleid zum erstenmal am Morgen des 27. Mai in ihrem Zimmer an. Sie hatte sich einen passenden Büstenhalter gekauft, der ihre Brüste hob (nicht daß sie das wirklich nötig gehabt hätte), aber die oberen Hälften unbedeckt ließ. Er gab ihr ein traumhaftes Gefühl, eine Mischung aus Scham und Erregung.
      Das Kleid selbst war fast bodenlang. Der Rock war weit, die Taille eng. Der Stoff war wertvoll und fühlte sich eigenartig auf ihrer Haut an, die nur an Baumwolle und Wolle gewöhnt war.
      Die Länge schien richtig zu sein, oder würde es zumindest sein, wenn sie die neuen Schuhe trug. Sie zog sie probeweise an und trat ans Fenster. Sie konnte nur eine geisterhafte Wiedergabe ihres Spiegelbildes erkennen, aber es schien alles in Ordnung zu sein. Später konnte sie vielleicht —
      Die Tür hinter ihr flog auf, und Carrie wandte sich um. Da sah sie ihre Mutter.
      Sie trug ihre Arbeitskleidung, ihren weißen Pullover, und hielt in der einen Hand ihre schwarze Mappe. In der anderen Daddy Ralphs Bibel. Sie sahen einander an.
      Unwillkürlich straffte sich Carrie, bis sie ganz aufrecht in dem Flecken Frühlingssonne stand, der durch das Fenster hereindrang.
      »Rot«, murmelte Momma. »Ich hätte mir denken können, daß es rot ist.«
      Carrie sagte nichts.
      »Ich kann deine Schmutzkissen sehen. Jeder wird sie sehen. Sie werden deinen Körper ansehen. Im Buch steht geschrieben —«
      »Das sind meine Brüste, Momma. Jede Frau hat sie.«
      »Zieh dieses Kleid aus«, sagte Momma.
      »Nein.«
      »Zieh es aus, Carrie. Wir werden hinuntergehen und es zusammen verbrennen und dann um Vergebung bitten. Wir werden Buße tun.« Ihre Augen begannen vor Eifer zu glitzern, wie immer, wenn sie Dinge befahl, die ihrer Meinung nach Zeugnis des Glaubens ablegen sollten. »Ich werde nicht zur Arbeit gehen, und du wirst nicht zur Schule gehen. Wir werden beten. Wir werden um ein Zeichen bitten. Wir werden uns auf unsere Knie niederlassen und um das Pfingstfeuer bitten.«
      »Nein, Momma.«
      Ihre Mutter hob die Hand und fuhr sich über das Gesicht. Sie hinterließ einen roten Striemen. Sie sah Carrie an, um deren Reaktion zu beobachten, und als keine kam, verkrampfte sie ihre rechte Hand zu einer Klaue und fuhr sich damit über die Wange, bis sie blutete. Sie wimmerte und schwankte hin und her. Ihre Augen glühten vor Ekstase.
      »Hör auf, dich selbst zu verletzen, Momma. Deshalb mache ich doch nichts anders.«
      Momma schrie. Sie ballte ihre rechte Hand zur Faust und rammte sie sich in den Mund, bis Blut kam. Sie tauchte die Finger in das Blut, ließ einen Tropfen auf die Bibel fallen.
      »Gewaschen in dem Blut des Lammes«, flüsterte sie. »Viele Male. Viele Male haben ich und er —«
      »Geh, Momma.«
      Sie sah mit heißen Augen zu Carrie auf.
      »Der Herr läßt sich nicht verhöhnen«, flüsterte sie. »Sei sicher, deine Sünde wird entdeckt. Verbrenne es, Carrie! Wirf das Teufelsrot von dir und verbrenne es! Verbrenne es! Verbrenne es! Verbrenne es!«
      Die Tür öffnete sich von selbst.
      »Geh, Momma«
      Momma lächelte. Ihr blutiger Mund ließ das Lächeln zu einer grotesken Grimasse gerinnen. »Als Isebel vom Turm fiel, ging es ihr wie dir«, sagt sie. »Und die Hunde kamen und leckten das Blut auf. Es steht in der Bibel. Es —«
      Ihre Füße begannen auf dem Boden dahinzugleiten, und sie blickte verwirrt an sich hinunter. Der Holzboden schien sich in Eis verwandelt zu haben.
      »Hör auf damit!« schrie sie.
      Sie war jetzt in der Diele. Sie erwischte den Türgriff und hielt sich für einen Moment daran fest; dann öffneten sich ihre Finger wie ganz von selbst.
      »Ich liebe dich, Momma«, sagte Carrie. »Es tut mir leid.«
      Sie starrte die Tür an, um sie zu schließen, und sie schwang zu wie durch eine leichte Brise. Vorsichtig, als wolle sie sie nicht verletzen, löste Carrie in Gedanken die Hände, mit denen sie ihre Mutter hinausgeschoben hatte, von deren Schultern.
      Einen Augenblick später hämmerte Margaret gegen die Tür, Carrie hielt sie geschlossen, ihre Lippen zitterten.
      »Und es wird Gericht gehalten werden!« Margaret White war rasend. »Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich habe es versucht!«
      »Pilatus sagte das«, murmelte Carrie.
      Ihre Mutter ging weg. Eine Minute später sah Carrie sie auf dem Weg zur Arbeit die

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