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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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schickten, obwohl ihnen, soweit ich sehen konnte, nie etwas anderes widerfuhr als Krankheit. Sie vertrieben sich die Zeit, indem sie einander verleumdeten und in törichter Weise gegeneinander Ränke schmiedeten. Verschwörungen schwelten in jener Station, doch selbstverständlich wurde nie etwas aus ihnen. Sie waren so unwirklich wie alles übrige – wie der menschenfreundliche Anspruch des ganzen Unternehmens, wie ihr Gerede, ihre Herrschaft, wie das Getue mit ihrer Arbeit. Das einzig echte Streben dort war der Wunsch, einen Handelsposten zugewiesen zu bekommen, wo Elfenbein zu haben war, damit man Provisionen verdienen könnte. Sie schmiedeten Ränke und verleumdeten und haßten einander nur aus diesem Grund – doch wenn es darum ging, auch nur den kleinen Finger zu rühren – o nein. Himmel! Es ist nun einmal so in der Welt, daß dem einen erlaubt ist, ein Pferd zu stehlen, während der andere nicht nach dem Halfter schielen darf. Sich unverfroren ein Pferd nehmen. Sei's drum. Soll er es haben.
      Vielleicht kann er es reiten. Doch es gibt eine Art, nach einem Halfter zu schielen, die auch den barmherzigsten Heiligen zu einem Fußtritt verleiten könnte.
      Ich hatte keine Ahnung, warum er sich mir gegenüber so freundschaftlich erwies, aber während wir dort in jenem Zimmer plauderten, ging mir plötzlich auf, daß der Bursche etwas aus mir herausbekommen wollte – daß er mich geschickt ausforschte. Er spielte unentwegt auf Europa an, auf die Leute, die ich dort angeblich kannte – stellte verschlüsselte Fragen nach meinen Bekannten in jener gruftähnlichen Stadt und so weiter.
      Seine kleinen Augen funkelten wie Glimmerblättchen – vor Neugierde –, obwohl er eine Spur Herablassung zu bewahren versuchte. Zunächst war ich verdutzt, doch sehr bald wurde ich selbst fürchterlich neugierig, was er wohl aus mir herausbekommen würde. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was ich da so Fesselndes an mir haben sollte. Es war sehr lustig, mitanzusehen, wie er in die Irre ging, denn in Wahrheit hatte ich ja nichts als Fieberschauer im Leib, und mein Kopf beschäftigte sich ausschließlich mit dieser elenden Dampfschiffsangelegenheit. Es war offensichtlich, daß er mich für einen durch und durch schamlosen Wortverdreher hielt.
      Schließlich wurde er zornig, und um eine Regung
    wütenden Verdrusses zu verbergen, gähnte er. Ich stand auf. Da fiel mein Blick auf eine kleine Ölskizze auf einer Holztafel, die eine verhüllte Frau mit verbundenen Augen darstellte, welche eine brennende Fackel trug. Der Hintergrund war düster – fast schwarz. Die Gebärde der Frau war hoheitsvoll und der Schein des Fackellichts auf ihrem Gesicht unheimlich.
      Das Bild ließ mich innehalten. Er blieb höflich neben mir stehen und hielt die leere kleine Champagnerflasche (Champagner galt als medizinisches Stärkungsmittel), in welcher die Kerze stak, in die Höhe. Auf meine Erkundigung hin erklärte er, dies habe Herr Kurtz gemalt – hier auf dieser Station, vor mehr als Jahresfrist – während er auf eine Fahrgelegenheit wartete, um zu seinem Handelsposten zu gelangen. ›Sagen Sie mir, bitte‹, ersuchte ich ihn, ›wer ist dieser Herr Kurtz?‹
      ›Der Leiter der Station im Innern‹, antwortete er brüsk und blickte fort. ›Sehr verbunden‹, sagte ich lachend. ›Und Sie sind der Ziegelbrenner der Zentralstation. Das weiß jeder.‹ Er schwieg eine Weile. ›Er ist ein Wunder‹, sagte er schließlich.
      ›Er ist ein Gesandter der Barmherzigkeit und der Wissenschaft und des Fortschritts und, weiß der Teufel, von was noch allem. Zur Durchführung der guten Sache‹, begann er plötzlich zu deklamieren, ›die uns gewissermaßen von Europa übertragen wurde, bedarf es höherer Einsicht, weitreichender Sympathie und großer Zielstrebigkeit.‹
      ›Wer sagt denn das?‹ fragte ich.
      ›Eine Menge Leute‹, antwortete er. ›Manche schreiben es sogar; und darum kommt er hierher, ein besonderes Wesen, wie Sie wissen sollten.‹
      ›Warum sollte ich es wissen?‹ unterbrach ich ihn, ehrlich überrascht. Er ging darüber hinweg. ›Ja. Heute ist er der Leiter der besten Station, nächstes Jahr wird er Subdirektor sein, noch zwei Jahre und … aber freilich, Sie werden wissen, was er binnen zweier Jahre ist. Sie sind einer von der neuen Garde – der Tugendgarde. Dieselben Leute, die ihn in besonderer Absicht hersandten, haben auch Sie empfohlen. Oh, streiten Sie es nicht ab. Ich

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