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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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dort drinnen. Ich glaubte daran in derselben Weise, wie einer von euch glauben mag, der Mars sei bewohnt. Ich kannte einen schottischen Segelmacher, der davon überzeugt war, felsenfest, daß es auf dem Mars Menschen gebe. Wenn man ihn fragte, ob er sich denken könne, wie sie aussähen und sich benähmen, wurde er schüchtern und murmelte irgend etwas von ›auf allen vieren gehen‹. Man brauchte bloß zu lächeln, und er forderte einen – trotz seiner sechzig Jahre – zum Kampf heraus. Ich wäre nicht so weit gegangen, mich für Kurtz zu schlagen, doch um seinetwillen ließ ich mir beinahe eine Lüge zuschulden kommen. Ihr wißt, ich hasse Lügen, verabscheue sie und kann sie kaum ertragen, nicht weil ich aufrichtiger wäre als ihr übrigen, sondern einfach weil sie mir Entsetzen einflößen. Ein Hauch des Todes, der Beigeschmack der Sterblichkeit haftet den Lügen an – und das ist es genau, was ich hasse und verabscheue in der Welt – was ich vergessen möchte.
      Es macht mich elend und krank, so wie wenn man auf etwas Faules beißt. Temperament, zweifellos. Nun, ich kam einer Lüge recht nahe, indem ich den jungen Tölpel da alles glauben ließ, was er sich über die Größe meines Einflusses in Europa nur ausdenken wollte. Für Augenblicke wurde ich eben solch eine Larve wie der Rest der verhexten Pilgerschar. Und zwar einfach deshalb, weil ich mir sagte, es werde irgendwie jenem Kurtz von Nutzen sein, von dem ich mir damals noch gar kein Bild machen konnte – ihr versteht. Er war nur ein Wort für mich. Den Mann, der sich hinter dem Namen verbarg, sah ich damals ebensowenig wie ihr jetzt. Seht ihr ihn? Seht ihr die Sache vor euch? Seht ihr irgend etwas? Mir kommt es vor, als versuchte ich, euch einen Traum zu erzählen – als machte ich nutzlose Anstrengungen, denn keine Traumwiedergabe vermag die Traumempfindung zu vermitteln: jene Mischung aus Ungereimtheit, Überraschung und Bestürzung in einer Aufwallung hilfloser Empörung, jene Vorstellung, vom Unfaßlichen eingefangen zu sein, was ja geradezu das Wesen der Träume ausmacht …«
      Er schwieg eine Weile.
      »… Nein, es ist unmöglich; es ist unmöglich, das Lebensgefühl einer bestimmten Epoche unseres eigenen Daseins anderen zu vermitteln – das, was deren Wahrheit, deren Sinn ausmacht –, deren zartes und durchdringendes Wesen. Es ist unmöglich. Wir leben, wie wir träumen – allein …«
      Er hielt abermals inne, als sei er in Gedanken versunken,
    dann fügte er hinzu:
      »Freilich – ihr, Freunde, werdet hierin mehr sehen, als ich damals sah. Ihr seht mich, den ihr kennt …«
      Es war so pechschwarz geworden, daß wir Zuhörer kaum einander sehen konnten. Seit langem schon war er, der abseits saß, für uns nicht mehr gewesen als eine Stimme. Niemand sagte ein Wort. Die anderen mochten eingeschlafen sein, doch ich war wach. Ich hörte zu, lauschte, lauerte auf den Satz, auf das Wort, das mir den Schlüssel zu der leisen Unruhe geben würde, die in mir geweckt worden war durch diese Erzählung, welche gleichsam ohne menschlicher Lippen Zutun in der schweren Nachtluft des Flusses sich zu formen schien.
      »… Ja – ich ließ ihn weiterreden«, hub Marlow wieder an, »ließ ihn denken, was er wollte, über die Mächte, die ich angeblich hinter mir hatte. Ich ließ ihn reden! Und ich hatte nichts hinter mir! Nichts außer jenem elenden, alten, zerborstenen Dampfschiff, an dem ich lehnte, dieweil er sich gewandt über ›das Bedürfnis eines jeden Menschen, vorwärtszukommen‹ ausließ. ›Und wenn man hier herauskommt, das werden Sie begreifen, dann nicht, um in den Mond zu schauen.‹ Herr Kurtz sei ein ›Universalgenie‹, aber selbst einem Genie müsse es die Arbeit erleichtern, mit ›angemessenen Werkzeugen – intelligenten Menschen‹ umzugehen. Er brenne keine Ziegel – nun, weil dem eine physikalische Unmöglichkeit im Wege stehe –, wie ich wohl sehen könne; und wenn er Sekretärsarbeit für den Direktor verrichte, so nur, weil ›kein vernünftiger Mensch mutwillig das Vertrauen seines Vorgesetzten von sich weist‹.
      Ob ich das sähe? Ich sah es. Was wolle ich mehr? Was ich wirklich wollte, das waren Nieten – Himmel, ja! Nieten. Um mit der Arbeit voranzukommen – um das Loch zu flicken. Ich brauchte Nieten. An der Küste gab es sie kistenweise – Kisten – gestapelt – aufgebrochen – zerschlagen! Auf dem Gelände jener Station am Berghang war man alle zwei Schritt gegen eine Niete

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