Untitled
und so gottverdammt schön und lebendig, dass sie ihm den Atem raubt.
Auf der Suche nach einer vermissten Ziege – nein, sagen wir lieber, nach einem verloren gegangenen Kind – landen sie irgendwo fernab vom Lager in der Wildnis. Um einander zu wärmen müssen sie sich aneinanderkuscheln, was die Leide n schaft entfacht und …
Ja, genau. Das war ihm eine echte Hilfe. Die Vorstellung, wie Gina und der gottverdammte Engländer einander zum ersten Mal liebten, würde Max bei der Suche garantiert wer t volle Dienste leisten.
Er sah sich Ginas Kleider noch einmal genauer an, suchte in ihren Taschen nach einer Streichholzschachtel aus einem Restaurant oder irgendwelchen anderen Hinweisen, die dazu beitragen konnten, jeden ihrer Schritte zu rekonstruieren. Er versuchte sich zu konzentrieren, indem er daran dachte, wie grausam schwierig das alles geworden wäre, wenn die leblose Hülle da unten in der Leichenhalle wirklich ihre gewesen wäre.
Dadurch gelang es ihm zwar, sämtliche Gedanken daran, wie sie Sex mit Mr. Faszinierend gehabt haben könnte, abz u würgen, aber dafür musste er zwischendurch schon wieder weinen.
Na prima, das war auch nicht gerade hilfreich. Mr. Heu l suse. Scheiße. Was war denn bloß mit ihm los?
In Ginas Schublade befanden sich überwiegend robuste Campingklamotten: kurze Cargohosen. Jeans. T-Shirts. Leichte Pullover. Dicke Socken. Unterwäsche – die allerdings aus der weniger robusten Abteilung. Sie hatte ihre übliche Spitzen- und Rüschenwäsche dabei, in großer Auswahl.
Ach Gott.
Aber nirgendwo zwischen ihren Kleidern steckten Visite n karten von Osama Bin Laden oder einem seiner Geschäft s partner.
Auf dem Schreibtisch lag ein Stapel Papiere. Broschüren von Hamburger Museen. Ein zerfetzter Stadtplan. Eine kurze Einkaufsliste für einen Drogeriemarkt in Ginas vertrauter, unleserlicher Handschrift. »Seife, Sonnencreme, Q-Tips & Wattebällchen, Mineralwasser, Cracker …«
Aber keine Kreditkartenbelege – es gab überhaupt keine Belege oder Rechnungen.
Max suchte nach einem Koffer und entdeckte im oberen Regal des Schranks zwei leere Sporttaschen.
Er wollte sie herunterholen und … Was, zum Teufel, war denn da drin?
Die untere Tasche war deutlich schwerer, als eine leere Tasche eigentlich hätte sein dürfen. Außerdem war sie a b geschlossen und mit einem dieser billigen Fahrradschlösser mit Zahlenkombination an dem Gitterregal befestigt.
Als ob ein Einbrecher sich durch so etwas davon abhalten ließe, sich mit dem Inhalt der Tasche aus dem Staub zu machen.
Max holte sein Taschenmesser heraus und schnitt den Henkel durch.
Die Tasche gehörte Gina. Ihr Nachname stand mit wasse r festem Filzstift deutlich lesbar darauf. Er trug sie auf das Bett und schob den Briefumschlag beiseite, den er vorhin dort hi n geworfen hatte …
Okay. Oh-haa. Entweder war er erschöpft oder nicht mehr ganz bei Verstand, aber dieser Briefumschlag war keineswegs vom Hotel, wie er vermutet hatte. Er war per Post gekommen, denn er trug einen Poststempel. Er war an Gina adressiert, zu Händen des Hotels, Zimmer 817. Der Absender war mit A.M.C. angegeben, hier aus Hamburg.
Da er das Messer sowieso schon in der Hand hatte, kümmerte er sich zunächst einmal um die Tasche und schnitt den Baumwollstoff entlang des Reißverschlusses auf.
Darin lagen …
Ginas Digitalkamera und – ja – genau wie er gehofft hatte: ein Packen Quittungen.
Max setzte sich auf das Bett und ging die Papierschnipsel durch. Sie hatte alle die, aus denen nicht eindeutig hervorging, wofür sie waren, mit Vermerken beschriftet. Abendessen, Abendessen, Abendessen, Mittagessen, Frühstück, Mitta g essen. Bücher, Bücher, Bücher, Bücher.
Es waren insgesamt rund zwei Dutzend Quittungen in unterschiedlichen Größen und Formen und unterschiedlich gut lesbar. Er würde sie noch einmal in aller Gründlichkeit durchgehen, sobald er herausgefunden hatte, was A.M.C. b e deutete …
Moment mal.
Das letzte Dokument war ein größeres Blatt, das auf Drittelgröße zusammengefaltet worden war, damit es besser zu den anderen passte. Es war aus besonders dünnem Papier, fast schon durchsichtig, und Max konnte die großen, auf dem Kopf stehenden und seitenverkehrten Buchstaben genau e r kennen: American Medical Clinic. A.M.C.
Er faltete es auseinander und …
Es war eine Rechnung für eine ärztliche Untersuchung.
Im Kopf stand Ginas Name in voller Länge, zusammen mit ihrer Adresse zu Händen des Hotels, Zimmer 817. Ganz
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