Untitled
hätte irgendwo auf der Welt sein können, überall dort, wo man amerikanische Gäste hatte.
Nur, dass es hier drin nach Gina roch. Sie benutzte kein Parfüm, zumindest keines aus der Flasche, aber ihr Shampoo, ihre Seife und ihre Hautcremes besaßen einen süßen Duft.
Im Badezimmer war der Duft noch stärker. Als ob sie da drin wäre. Nur unsichtbar.
Ihr Make-up auf der Ablage machte den Eindruck, als hätte sie es gerade erst benutzt. Als hätte sie das Zimmer verlassen und fest vorgehabt, gleich wiederzukommen.
Überall lagen Stapel mit Taschenbüchern herum: auf der Kommode, auf dem Schreibtisch, ja, sogar auf dem Boden. Gina hatte immer scherzhaft gesagt, dass eine Buchhandlung der einzige Ort wäre, wo sie sich auf ein »Schamlose Mädchen von nebenan«-Video einlassen würde. Das Einzige, mit dem man sie dazu bringen konnte, in der Öffentlichkeit den Rock zu heben, war ein Vorabexemplar des neuesten Buches von Dean Koontz oder J.D. Robb.
In der abgelegenen Gegend Kenias, wo sie jetzt arbeitete, gab es keine Buchhandlungen, und Max spürte, wie sein schlechtes Gewissen ihn zwickte. Er hätte daran denken und ihr ein paar Neuerscheinungen kaufen sollen. Er hätte Jules bitten können, sie ihr zu schicken – es hätte sie alle beide nur ein kleines bisschen Zeit und Anstrengung gekostet.
Max warf den Briefumschlag auf das Bett in der Nähe der Badezimmertür. Er wollte die Hände frei haben, um alle Schubladen aufziehen zu können.
Gina war eine Auspackerin. Anstatt die Sachen, wie normale Menschen, in der Tasche zu lassen, packte sie sie in den Hotelschrank.
Garantiert hatte sie das auch hier gemacht.
Als er die Kleider entdeckte, die im Schrank hingen, trat er einen Schritt näher.
Ginas Kleider und dann die von noch jemandem.
Aber keine Hemden oder Anzüge, keine Turnschuhe in Männergrößen. Dieser Jemand war eine Frau.
Max stand da und betrachtete ein Kleid, das weder Ginas Stil noch ihre Größe hatte und empfand … Was? E r leichterung?
Eigentlich nicht.
Obwohl, na ja, okay. Vielleicht ein bisschen. Die Ei n tragung im Gästebuch des Hotels hatte »Gina Vitagliano und Begleitung« gelautet. Bis zu diesem Augenblick war Max davon ausgegangen, dass die Begleitung ein Mann war.
Leslie Pollard, der vor ungefähr vier Monaten in Ginas Lager in Kenia aufgetaucht war. Britisch. Mitte dreißig. Gebildet.
Faszinierend.
So ähnlich hatte Gina den Hundesohn jedenfalls in einem Brief an Jules beschrieben. Ich habe einen unglaublich faszinierenden Mann kennen gelernt.
Aber falls Pollards Faszination nicht zum Teil daher rührte, dass er Kleider mit farbenfrohen Blumenmustern trug, dann war er nicht ihr momentaner Reisegefährte.
Jules hatte Max Ginas Bemerkung erst gezeigt, nachdem er ein paar Nachforschungen angestellt und herausgefunden hatte, dass Pollard nach Aussage der AAI-Akten sich nach dem Tod seiner Frau, mit der er über zehn Jahre verheiratet gewesen war, als freiwilliger Helfer gemeldet hatte.
Er war schon eine Weile für andere Hilfsorganisationen in China, in Südostasien und in Indien tätig gewesen. Ursprünglich kam er aus einer kleinen Stadt in England, wo er in einer Privatschule für reiche Töchter unterrichtet hatte. Die Schule hatte, noch bevor man überhaupt an eine Einstellung Pollards gedacht hatte, sein Leben mit größerer Gründlichkeit ausgeforscht, als es für die meisten staatlichen Unbedenklic h keitsuntersuchungen notwendig gewesen wäre.
Leslie Pollard war – so hatte das AAI-Büro Jules mi t geteilt, der die Information seinerseits an Max weiterleitete – ein stiller, gläubiger Mann, der immer noch um seine geliebte Ehefrau trauerte.
Aber Gina mit ihrer Lebenslust, ihrer direkten Art, ihrem Humor und ihrer Filmstarfigur besaß all das, was ein Mann brauchte, um das Leben und die Liebe neu zu entdecken.
Oh Gott, es war irgendwie wie im Roman. Gina flieht nach Kenia, mit einem gebrochenen Herzen als Resultat einer feh l geschlagenen Beziehung mit Max, der zwar jederzeit bereit gewesen war, mit ihr zu schlafen, der aber auch ein kal t herziger Vollidiot und nicht in der Lage war, sich ihr zu öffnen und seine wahren Gefühle mit ihr zu teilen.
Pollard seinerseits gibt sich, nachdem seine Frau – vermu t lich an einer langwierigen und schmerzhaften Krankheit wie zum Beispiel Krebs – gestorben ist, dem Dienst an seinen Mitmenschen hin. Er ist sanftmütig, sensibel und verletzt und hat doch keine Angst, ihr sein Herz zu öffnen. Sie ist offen und witzig
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