Untitled
bemerkenswert wenig Begeisterung angesichts der Ta t sache, dass er immer voller Bewunderung von seinem Bruder sprach. »Endlich mal hergefunden, hmm?«
Rick Moseley war groß und dünn und viel älter, als Max ihn sich vorgestellt hatte – Mitte zwanzig etwa. Außerdem war er sehr viel weißer – praktisch skandinavisch – und seine Haare wären wohl blond gewesen, wenn er sie gewaschen hätte. Hatte er aber nicht. Und seine Kleider sahen aus, als würde er sie auch zum Schlafen tragen.
Auch wenn viele junge Menschen eine Menge Zeit und Energie investierten, um genauso heruntergekommen und zerzaust auszusehen, war es bei ihm offensichtlich keine Frage der Mode. Der beißende Gestank, der ihn umgab, ließ vermuten, dass er die Nacht hinter einem Müllcontainer ve r bracht hatte.
Außerdem bewegte er sich, als ob er nicht allzu lange still stehen konnte.
»Mann!« Rick ging in weitem Bogen um den Tisch herum und auf die großen Panoramafenster mit Blick über die u m gebende Landschaft zu. »Da habt ihr aber einen netten Au s blick hier, hmm?«
»Ja«, meinte Ajay. »Super.«
Rick hatte Ajay nicht in den Arm genommen, hatte nicht einmal seine Schulter berührt. Vielleicht wollte er ihm ja nicht zu nahe treten, um ihn nicht mit seinem Gestank zu b e lästigen, aber Max hatte so seine Zweifel. Rick schaute Ajay nicht einmal an. Er hielt den Blick während des gesamten Gesprächs zum Fenster hinaus gerichtet. Wenn man diesen lächerlichen Wortwechsel überhaupt Gespräch nennen konnte. Wie wäre es zum Beispiel mit der Frage Wie geht es dir?
Ajay versuchte sich zumindest an einer Variation des Themas, da Rick offensichtlich seine Probleme damit hatte. »Hey, wie geht’s Cindy? «
»Ashley«, korrigierte Rick. »Das mit Cindy, das ist so was von vorbei. Ashley ist viel cooler. Sie ist, ähm, du weißt schon, draußen im Auto … Oh ja, das ist mal ein Blick hier …«
Max räusperte sich.
Ajay nutzte die Gelegenheit. »Oh, übrigens, das hier ist Max«, sagte er. »Max, Ricky. Wir sind Stiefbrüder, nur falls du dich wunderst«, fügte er noch hinzu. »Mein Dad und seine Mom haben eine Art Brady-Familie gegründet. Wir hatten noch eine Halbschwester, aber sie … du weißt schon.«
Max wusste. Sie hatte den Unfall nicht überlebt.
Drüben vor dem Fenster fuhr sich Rick mit der Hand übers Gesicht.
Es musste mit Sicherheit schwierig für ihn gewesen sein, den Verlust seiner ganzen Familie zu verkraften. Und ohne Zweifel war es hart, seinen kleinen Bruder im Rollstuhl sitzen zu sehen, unfähig zu gehen und mit diesen schrecklich ve r stümmelten Händen. Max konnte nur ansatzweise versuchen, es sich vorzustellen.
Und dennoch: Ricks Vermeiden jeglichen Blickkontakts wirkte, als würde er sich ekeln – zumindest schien Ajay es so zu interpretieren. Er hatte seine Hände unter den Saum seines viel zu großen T-Shirts geschoben, als ob er sie verstecken müsste.
»Max«, sagte Rick und drehte sich endlich doch noch um. »Arbeiten Sie hier, Max? Weil, vielleicht könnten Sie Jay ja in sein Zimmer schieben, damit wir …«
»Max ist ein Patient«, sagte Ajay, und seine Stimme klang ein klein wenig gepresster als sonst. »Ob du’s glaubst oder nicht, er spielt mit mir, weil er Lust dazu hat.«
»Schön für ihn«, sagte Rick und näherte sich Ajays Rol l stuhl von hinten. »Andere müssen sehen, dass sie ihre Rechnungen bezahlen können.« Er zog am Rollstuhl, der sich nicht von der Stelle rührte. »Wie funktioniert das denn, ve r fluchte Scheiße?«
»Da ist eine Feststellbremse«, sagte Max und zeigte darauf. »Die müssen Sie lösen … aber Ajay kann mit seiner Steuerung …«
»Nein, ich kann das …« Rick versuchte mit etwas zu viel Schwung die Bremse zu lösen, und Ajay griff nach den Ar m lehnen. Aber schnell versteckte er seine Hände wieder.
Max stemmte sich auf die Beine, aber schließlich hatte Rick es geschafft und schob seinen Bruder aus dem Raum.
»Wie sind die Krankenschwestern? Behandeln sie dich gut?«, hörte Max ihn fragen, als sie in den Flur kamen.
Er hörte nicht, was Ajay antwortete.
Max folgte ihnen unwillkürlich – wenn auch nicht direkt auf den Fersen. So schnell war er noch nicht.
Als er an der Rezeption vorbeikam, war der Flur, der zu Ajays Zimmer führte, leer. Er und sein Bruder waren ve r schwunden.
Max stand da, war versucht, an Ajays Tür vorbeiz u schlendern, nachzusehen, ob sie verschlossen war, ob er die beiden vielleicht reden hören konnte.
Aber das war
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